Neugestaltung des Finanzausgleichs

Zur Neugestaltung des Finanzausgleichs

Die grüne Fraktion findet auch, dass im Finanzdschungel zwischen Bund und Kantonen einiges nicht zum Besten bestellt ist und dass da eine Durchforstung durchaus nötig ist. Es gibt auch interessante neue Ansätze in der NFA-Vorlage, wie die Töpfe für den soziodemographischen und für den geographisch-topographischen Lastenausgleich; sie weisen unserer Meinung nach in die richtige Richtung. Allerdings ist dann die Art und Weise der Mittelbeschaffung zum Füllen dieser Töpfe wiederum sehr fragwürdig; dazu komme ich später noch. Die 1,8 Milliarden Franken, die es u. a. aus dem Sozialbereich braucht, um diese Töpfe zu füllen, finden wir natürlich ausserordentlich problematisch. Wenn wir aber eine Gesamtbilanz ziehen, sind diese innovativen Ansätze zu wenig gewichtig. Wir Grünen werden dem vorliegenden Projekt nicht zustimmen, da die Weichen insgesamt falsch gestellt werden. Statt dass die NFA-Vorlage die Schweiz fit für das neue Jahrhundert macht, zementiert sie schliesslich ein Staatsverständnis, mit dem man nicht nur ins letzte, sondern ins vorletzte Jahrhundert zurückkehrt. Bundesrat Villiger preist in neuerer Zeit das Projekt, das ja eigentlich einmal als Finanzausgleichsprojekt gestartet wurde, auffällig oft als Föderalismusprojekt, als letzte Rettung des Föderalismus sogar, für den Bundesrat Villiger schon die Totenglocke läuten hört, wenn wir hier dieser Vorlage nicht zustimmen. Aber genau das schätzen wir Grünen anders ein.

Unsere erste Kritik ist denn auch eine staatspolitische: Es ist ein Projekt, das nicht einfach die Kantone stärkt, sondern die grossen Kantone. Die kleinen Kantone werden nämlich vor die Wahl gestellt: Vogel, friss oder stirb! Lassen Sie mich das erläutern. Die Grössenverhältnisse zwischen den Kantonen sind eklatant. Ich möchte dazu ein paar Kennziffern nennen: Appenzell Innerrhoden ist mit seinen 15 000 Einwohnern rund 80-mal kleiner als der Kanton Zürich. Dieser beschäftigt - hören Sie genau hin - mehr Staatsangestellte, als der Kanton Appenzell Innerrhoden insgesamt Einwohnerinnen und Einwohner hat. In den fünf grössten Kantonen, Zürich, Bern, Waadt, Aargau und St. Gallen, lebt mehr als die Hälfte der ganzen Bevölkerung der Schweiz. In den fünf kleinsten Kantonen, Glarus, Uri, Nidwalden, Obwalden und Appenzell Innerrhoden, leben zusammen gerade mal 2 Prozent der schweizerischen Bevölkerung. Der flächenmässig grösste Kanton, Graubünden, ist 192-mal grösser als der kleinste, Basel-Stadt. Dieser weist aber umgekehrt eine 200-mal grössere Bevölkerungsdichte als jener auf. Schauen wir noch kurz in die Wirtschaft und in die Verwaltung, so stellen wir fest, dass auch da die Unterschiede zwischen den Kantonen eklatant sind. Das Pro-Kopf-Einkommen im Kanton Zug ist zweieinhalbmal höher als im Kanton Jura, und in den kleinen Kantonen sind milizähnliche Verwaltungsstrukturen noch gang und gäbe, während in den grossen Kantonen professionelle Verwaltungen mit viel Know-how am Werke sind.

Statt eine Gebietsreform anzupacken, die diese Disparitäten grundsätzlich und zukunftsweisend angeht, zementiert der NFA diese Ungleichheiten für das nächste Jahrhundert. Da bin ich eben mit Herrn Walker, der für die Kommission gesprochen hat, nicht einverstanden. Er erklärt das Ganze für noch nicht reif, er hat also in seinem Eintretensvotum eigentlich auch deklariert, dass die Gebietsreform die richtige Antwort auf die Probleme wäre - aber eben, die Zeit sei noch nicht reif.

Wir haben eine andere Einschätzung und sagen: Wir gehen mit diesem NFA in die falsche Richtung. Die Reise geht in die Vergangenheit, es wird nicht der grosse, neue Wurf gewagt, sondern die Weiche wird eben sogar in die falsche Richtung gestellt. Denn die unterschiedlichen Kantone, wie ich sie jetzt geschildert habe, werden sich in Zukunft überall dort zusammenzuraufen haben, wo sich der Bund aus bisher von ihm geregelten Aufgabenbereichen zurückziehen und die Regelung den Kantonen überlassen will, z. B. eben bei der Eingliederung und Betreuung von Menschen mit Behinderungen oder im Strafvollzug. Diese ungleichen Kantone müssen sich nun miteinander arrangieren und darüber einigen, wie sie diese neuen Aufgaben in Zukunft lösen wollen, obwohl z. B. im Behindertenbereich bereits gut funktionierende Lösungen vorhanden sind. Grosse Kantone besitzen genügend Personal mit den entsprechenden Kompetenzen, um solche Herausforderungen zu meistern; kleinen Kantonen bleibt, sich den getroffenen Lösungen zu unterziehen. Tun sie es nicht freiwillig, so werden sie zu ihrem Glück gezwungen. Was das mit der Stärkung des Föderalismus zu tun haben soll, ist uns schleierhaft; undemokratisch ist es obendrein.

Immer mehr Aufgaben sollen den ausufernden Konkordaten - der Konferenz der Kantonsregierungen, den regionalen Regierungskonferenzen, der Konferenz der Alpenkantone, den 17 verschiedenen Verwaltungskonferenzen - übertragen werden. Eine eigentliche vierte Ebene zwischen dem Bund und den Kantonen ist am Wuchern. Diese Tendenz wird durch den NFA noch massiv verstärkt. Hier haben wir entschieden etwas dagegen. Diese vierte Ebene gefällt uns aus demokratiepolitischen Überlegungen nicht, sind doch ihre Entscheide nicht der demokratischen Mitbestimmung der lokalen Parlamente unterstellt; diese können zu den Entscheiden in der Regel nur noch Ja oder Nein sagen.

Es gilt ja zwar für Grüne "small is beautiful" - aber nicht, wenn es auf Kosten der Demokratie, der Transparenz und der Gleichbehandlung geht. Deshalb ist es ehrlicher, Bundeslösungen zu suchen; es ist ehrlicher, wenn dieses Parlament, das aus Vertreterinnen und Vertretern der ganzen Schweiz zusammengesetzt ist, demokratische Lösungen sucht, sie demokratisch aushandelt und ausmehrt.

Die zweite Kritik ist eine sozialpolitische. Weil eben zum Füllen der eingangs erwähnten geographisch-topographischen und soziodemographischen Töpfe freie Mittel benötigt werden, ging der Bundesrat auf die Suche und wurde unter anderem im Behinderten- und im Sozialbereich fündig. Deshalb - und nicht etwa, weil die aktuelle Aufgabenteilung dort nicht funktionieren würde - muss der Sozialbereich herhalten. Wir Grünen befürchten, dass sich damit die Ungleichheiten bei den Schwächsten der Gesellschaft verstärken könnten und dass die Kantone unter dem Spardruck die neuen, eben nicht zweckgebundenen Mittel nicht in erster Linie für die neuen Aufgaben im Behindertenwesen einsetzen, sondern dass sie sich dazu verführen lassen könnten, diese Mittel für Steuergeschenke für diejenigen, die es nicht nötig haben, zweckzuentfremden.
Diese Befürchtungen sind nicht aus der Luft gegriffen, sondern beruhen auf den Erfahrungen der letzten Zeit, nämlich dass den Reichen mehr gegeben und den Armen mehr genommen wird und dass die Senkung der Steuerquote als Allerweltsmittel gegen alles und jedes Problem angepriesen wird.

Aus diesem Grunde sind wir strikte gegen die Aufgabenumverteilung im sozialen Bereich und werden den Antrag der Minderheit II (Goll), der genau dies verlangt, und auch den Einzelantrag Günter, der dies in abgeschwächter Form für den Schulbereich noch tut, unterstützen. Wir tun dies auch deshalb, weil wir - im Gegensatz zu meinen Vorrednern - die Befürchtungen all jener in diesen Bereichen tätigen Institutionen ernst nehmen, welche uns im grossen Ausmasse in den letzten Wochen zugetragen worden sind. Wenn man bedenkt, dass 178 000 Unterschriften in zehn Wochen zusammengekommen sind - das ist mehr, als es für eine Volksinitiative braucht -, dann ist das eine sensationelle Leistung. Dies zeigt doch einfach, wie gross die Beunruhigung und die Befürchtungen in diesen Milieus sind. Ich finde es auch unsere Aufgabe, diese Befürchtungen und diese Beunruhigung ernst zu nehmen und ihnen Rechnung zu tragen.

Die dritte Kritik am NFA ist eine finanzpolitische. Wie erklären Sie es einem Bewohner, einer Bewohnerin unseres Landes, den es aus einem Zufall der Geschichte in den Kanton Jura verschlagen hat, dass er mehr als doppelt so viel Steuern zu bezahlen hat wie jemand, den es zufällig nach Zug verschlagen hat? Das ist eine eklatante Ungerechtigkeit. Hier zeigt der von der bürgerlicher Seite immer wieder verteidigte und zu einer Frage von "Sein oder Nichtsein des Föderalismus" hochgejubelte Steuerwettbewerb sein ganz hässliches Gesicht.

Dieses Problem geht der NFA zu wenig gründlich an. Die Korrekturen bewegen sich in einem viel zu kleinen Bereich. Es wird zwar ein horizontaler Ressourcenausgleich geschaffen, aber dieser verteilt viel zu wenig wirklich um. Wer das Gejammer der finanzkräftigen Geberkantone noch im Ohr hat, kann unsere Einschätzung sicher nachvollziehen, dass es sich hier weniger um ein Föderalismusstärkungsprojekt als um ein Projekt handelt, das die Erbsenzählermentalität verstärkt. Es reduziert nämlich das Verhältnis zwischen den Kantonen auf die Frage, wer wem wie viel geben muss und wer von wem wie viel erhält.

Fazit: Diese Vorlage ist staatspolitisch mutlos und rückwärts gewandt, demokratiepolitisch problematisch, sozialpolitisch ungerecht und finanzpolitisch zu wenig innovativ. Das ergibt in der Waagschale, aufgewogen gegen die guten Instrumente, die ich eingangs erwähnt habe, eine zu einseitige Bilanz. Deshalb werden wir Grünen dem Projekt NFA nicht zustimmen.

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