Ausländergesetz
Debatte zum Ausländergesetz
Mit Artikel 51 kommen wir zum neuen Kapitel "Integration", welches insgesamt gesehen das erfreulichste Kapitel im neuen AuG ist. Denn hier ist tatsächlich der in den Neunzigerjahren begonnene Paradigmenwechsel, dass man nämlich nicht nur einfach Arbeitskräfte aus dem Ausland kommen lassen kann, ohne sich um ihre Integration zu kümmern, weitergeführt worden. Das frühere System ist einer Politik gewichen, welche die Integration gleichberechtigt neben die Massnahmen zur Zulassung stellt. Das hatte damals angefangen, indem man ja überhaupt einmal einen kleinen Artikel zur Integration ins alte Anag eingefügt hat. Bei der Totalrevision bekommt jetzt das Kapitel "Integration" endlich den Stellenwert, den es verdient. Das ist einmal das Positive daran.
Der Bundesrat macht in Artikel 52 einen Vorschlag, und meine Minderheitsanträge, die ich jetzt begründe, beziehen sich auf den Entwurf des Bundesrates und nicht auf die Anträge der Mehrheit, die ich Ihnen zur Ablehnung empfehle. Ich empfehle Ihnen, beim Konzept des Bundesrates zu bleiben und dieses - mit meinen Minderheitsanträgen angereichert bzw. modifiziert - anzunehmen.
Warum das? In Artikel 52 wird der Grundsatz formuliert, dass die Integration sowohl den Willen der Ausländerinnen und Ausländer, sich in der neuen Gesellschaft einzugliedern, wie auch die Offenheit der schweizerischen Bevölkerung voraussetze. Das ist der Grundsatz, und der ist an sich richtig so: Es ist ein gegenseitiger, ein wechselseitiger Prozess.
Ich habe bei meiner langjährigen Tätigkeit in der Integrationsarbeit auch immer wieder festgestellt, dass es in der Gesellschaft integrationshemmende Faktoren gibt. Deshalb habe ich bei Artikel 52 Absatz 1 einen Zusatz beantragt, der lautet: "Es wird darauf geachtet, dass integrationshemmende Bestimmungen abgebaut und keine neuen erlassen werden."
Ich habe aufgrund meiner Erfahrungen gemerkt, dass es tatsächlich auch aufseiten der Schweiz Probleme gibt, die die Integration der Migrantinnen und Migranten hemmen. Ein Beispiel: Wenn ausländische Jugendliche einfach aufgrund ihres "falschen" Namens keine Chance haben, an eine Schnupperlehre oder Lehrstelle zu kommen, ist das eine integrationshemmende Massnahme aufseiten der Schweiz. Es gibt übrigens zu diesem Tatbestand eine Untersuchung des Schweizerischen Forums für Migrationsstudien, das Blindbewerbungen machte. Einmal war die Bewerberin eine Schweizerin, nachher wurde das gleiche Dossier unter einem ausländischen Namen eingereicht. Die Bewerberinnen mit einem Schweizer Namen bekamen die Lehrstellen; identische Dossiers mit einem ausländischen Namen wurden zurückgeschickt. Es handelt sich also klar um eine diskriminierende Massnahme, die integrationshemmend ist. Ich könnte weitere Beispiele aufzählen, etwa den Umstand, dass man eine Wohnung nicht bekommt, wenn man einen Namen hat, der auf eine ausländische Herkunft hindeutet.
Ich habe aber gemerkt, dass es schwierig ist, dieses Problem in diesem Gesetz anzugehen, denn was ich jetzt erwähnt habe, sind Haltungen und nicht gesetzliche Bestimmungen. Deshalb ziehe ich den Antrag der Minderheit zu Absatz 1 zurück. Aber ich habe jetzt erklärt, worum es geht und dass solche diskriminierende, integrationshemmende Verhaltensweisen tatsächlich auch auf Schweizer Seite existieren. Das ist natürlich der Integration insgesamt abträglich. Aber weil es schwierig ist, das in eine Gesetzesbestimmung zu fassen, ziehe ich den Antrag zu Absatz 1 zurück.
Ich komme zu Artikel 52 Absatz 2: In der bundesrätlichen Fassung dieses Absatzes wird gesagt, dass es erforderlich ist, sich mit den Lebensbedingungen in der Schweiz auseinander zu setzen und eine Landessprache zu erlernen. Es ist an sich unbestritten, dass die Sprache ein wichtiger Integrationsfaktor ist. Es hat auch etwas Emanzipatorisches, wenn man sich in einem Land selber zurechtfinden kann, ohne dauernd Dolmetscherinnen oder Dolmetscher zu brauchen. Ich bin absolut der Meinung, dass die Sprachkenntnisse der Leute gefördert werden sollen. Ich schlage Ihnen im Minderheitsantrag einfach eine Variante vor, in der mehr die Unterstützung und die Förderung betont werden als quasi der Zwang, eine Sprache zu lernen. Ich tue das aufgrund der guten Erfahrungen, die wir zum Beispiel im Kanton Luzern mit dem Projekt "Deutschkurse für Mütter" gemacht haben. Wir haben gemerkt: Die Frauen sind durchaus bereit, die deutsche Sprache zu erlernen, wenn Deutsch- und Integrationskurse so angesetzt werden, dass es den Leuten möglich ist, sie zu besuchen - wenn die Kurse zum Beispiel im Schulhaus stattfinden, wo die Kinder in den Unterricht gehen, und wenn man im Idealfall auch Kinderbetreuungsmöglichkeiten für die kleineren Kinder anbietet. Ich kann Ihnen sagen, dass es eine absolute Erfolgsgeschichte ist, was in diesen Kursen im Kanton Luzern passiert. Diese sind dank der Unterstützung durch den Integrationskredit der Eidgenössischen Ausländerkommission (EKA) möglich geworden.
Das meine ich: Man soll Anreize schaffen, Unterstützung anbieten, aber man soll nicht zwingend formulieren. Meine Formulierung ist einfach weicher, unterstützender als die Fassung des Bundesrates.
In meinem Minderheitsantrag zu Absatz 3 beantrage ich Ihnen, die bundesrätliche Version zu streichen, weil da etwas sehr Problematisches eingeführt wird - diesbezüglich stütze ich mich auch auf die Ausführungen der EKA -: In Absatz 3 heisst es, dass der Grad der Integration bei der Erteilung der Niederlassungsbewilligung und bei der Ausübung des Ermessens durch die Behörden berücksichtigt werden soll. Ich frage Sie: Wie messen Sie den Grad der Integration?
Herr Blocher hat in der Debatte in der Sondersession das Beispiel des Italieners erwähnt, der seit zwanzig Jahren in der Schweiz lebt und perfekt funktioniert, aber praktisch nicht Deutsch spricht, und gesagt, dieser Italiener sei doch eigentlich auch integriert. Das finde ich auch. Oder es gibt Leute aus der Oberschicht - Einwanderer, Amerikaner, sie wohnen im reichen Vorort Meggen bei Luzern, sprechen kein Wort Deutsch; das ist kein Problem, kein Thema, die Leute sind bestens integriert. Sie würden mit dieser Bestimmung gezwungen, Deutschkurse zu besuchen und sich bei uns zu integrieren. Es gibt auch Vorstellungen von Integration, die dem assimilatorischen Modell der Sechzigerjahre verpflichtet sind, wonach jemand nur dann integriert ist, wenn er genau so tickt, wie das der eigenen Vorstellung entspricht. Wenn ich in den Saal schaue, frage ich mich, wer denn eigentlich das richtige "Schweizer-Sein" vertritt: Ist jemand integriert, der so funktioniert wie ich, oder ist es jemand, der so funktioniert wie Herr Müller Philipp? Da sind doch Welten dazwischen. Wie wollen wir denn diesen Grad der Integration messen? Sie sehen, wie ausserordentlich problematisch und heikel das ist.
Deshalb beantragt Ihnen die Minderheit, Artikel 52 Absatz 3 zu streichen.
In Artikel 54 geht es um die Wurst, nämlich darum, ob uns alle Integrationsbekenntnisse auch pekuniär etwas wert sind. Es geht darum, ob wir bereit sind, finanzielle Beiträge für die Integration bereitzustellen. Der Bundesrat schreibt in seiner Version, dass der Bund solche Mittel zur Verfügung stellen kann. Die Minderheit I beantragt Ihnen, dass wir das verbindlich formulieren: "Der Bund gewährt für die Integration der Ausländerinnen und Ausländer finanzielle Mittel." Die Minderheit III (Fehr Hans) bzw. die SVP-Fraktion will überhaupt nichts davon wissen. Sie haben also die Wahl zwischen der Verbindlichkeit, der Nichtunterstützung und der Kann-Formulierung.
Warum beantrage ich Ihnen die verbindliche Formulierung? Es war ja in den Neunzigerjahren eine grosse Errungenschaft, dass wir eben diesen Integrationsartikel ins alte Anag einfügen konnten, der auch finanzielle Unterstützung ermöglichte. Ich kann sagen: Was in den letzten Jahren in den Kantonen dank der Unterstützung durch Bundesgelder - die von der EKA über die Projektbegutachtung gesprochen werden - geleistet worden ist, ist eine Erfolgsgeschichte. Zum Beispiel wurden in den Jahren 2001 bis 2003 von den Geldern der EKA 29 Prozent gezielt in Projekten zur Förderung des Spracherwerbes eingesetzt. Eine weitere wichtige Aufgabe, die mit 13 Prozent der gesamten Mittel unterstützt worden ist, ist die Aus- und Fortbildung von so genannten Schlüsselpersonen. Das sind Personen, die sich professionell mit Integration beschäftigen, die sehr viel davon verstehen, die quasi Vermittler zwischen den Kulturen sind. Dann entfielen 23 Prozent der Mittel auf Projekte, die der Partizipation der Migrantinnen und Migranten dienten. 18 Prozent der Bundesgelder flossen in die Förderung von Projekten von nationaler Bedeutung, und 17 Prozent der Bundesgelder dienten zur Stärkung der regionalen Strukturen wie zum Beispiel Ausländerdienststellen oder Integrationsbüros, wie sie in den Kantonen existieren.
Das sind ganz wichtige Impulse, die vom Bund aus gekommen sind. Die Kantone haben mitgezogen. In vielen Kantonen und Städten wurden Integrationsdelegierte, Integrationsbeauftragte, eingesetzt, die quasi die Feinarbeit dessen, was wir hier beschliessen, in den Kantonen und Gemeinden geleistet haben.
Damit diese Projekte, diese Initiativen, die erfolgreich angelaufen sind, auch für die Zukunft gesichert sind, bitte ich Sie, der zwingenden Formulierung zuzustimmen, damit die Leute auf einer Basis von Sicherheit weiterplanen können und nicht damit rechnen müssen, dass diese Gelder nur dann fliessen, je nachdem ob es dem Bund gerade passt oder nicht. Es soll daher verbindlich sein, dass Beiträge an die Integrationsleistungen von Gemeinden und Kantonen bezahlt werden. Die Bedingung ist ja immer noch - das bleibt auch bei meinem Minderheitsantrag so -, dass sich Kantone, Gemeinden und Dritte angemessen an den Kosten beteiligen. Das ist die Begründung für meinen ersten Antrag.
Zum zweiten Minderheitsantrag betreffend Absatz 4: Die Formulierung, dass nur Projekte unterstützt werden, die auf Integrationsvereinbarungen beruhen, ist sehr problematisch. Bundesrat Blocher hat schon vorhin bei Artikel 52 Absatz 2bis gesagt, dass es an sich problematisch sei, wenn man diese Bestimmung anwende. Sie werden auch von Herrn Engelberger hören, dass die FDP-Fraktion für Streichung von Artikel 54 Absatz 4 ist. Es ist nämlich komisch, dass Aufenthaltsbewilligungen nur dann erteilt werden sollen, wenn Leute bereit sind, aufgrund solcher Integrationsvereinbarungen zum Beispiel bei uns Sprachkurse zu besuchen.
Jetzt kommen aber Leute aus der EU zu uns; sie werden in Zukunft vermehrt aus den osteuropäischen Staaten, die neue EU-Staaten geworden sind, wie zum Beispiel Polen, zu uns kommen. Für diese Personen gilt dann diese Vereinbarung nicht, weil wir EU-Angehörigen keine Auflagen machen können, denn EU-Angehörige müssen in jeder Beziehung wie Inländer behandelt werden. Es ist nicht einzusehen, wieso solche Integrationsvereinbarungen für Leute gelten sollen, die aus den USA in die Schweiz kommen, dass sie aber nicht für Leute gelten sollen, die aus Osteuropa kommen.
Dieser Absatz der Mehrheit der Kommission ist nicht durchdacht; er war vielleicht gut gemeint, aber er schafft mehr Probleme, weil er zwei Kategorien von Eingewanderten schafft. Die einen werden in solche Kurse gezwungen; die anderen, die es eigentlich mindestens so nötig hätten, wenn man das durchdenkt, sind diesem Regime nicht unterworfen.
Ich weiss, dass sogar Herr Bundesrat Blocher meinen Streichungsantrag unterstützen will. Eine solche Koalition wird es in diesem Hause wahrscheinlich relativ selten geben. Es spricht doch dafür, dass der Streichungsantrag richtig ist, wenn er so breit unterstützt wird: von Herrn Bundesrat Blocher bis zu mir von den Grünen.