Die Arbeit geht uns nicht aus

| Die Weltwoche, Nr. 20/2001

Die Arbeit geht uns nicht aus

Sie sitzen zwar alle zusammen in der Regierung, aber ein gemeinsamer Nenner ist immer weniger auszumachen. Noch nie waren die Divergenzen zwischen den Regierungsparteien so gross: während die FDP unter ihrem neuen Präsidenten Gerold Bührer deutlich neoliberale Positionen, angereichert mit globalisierisierungsfreundlichen Akzenten markiert, bewegt sich die SVP so weit aussen am rechten Rand, dass da kein Platz mehr für die traditionell fremdenfeindlichen Rechtsparteien bleibt und die SP versucht einen Balanceakt zwischen in die politische Mitte strebenden Modernisierern und Verteidigerinnen des status quo. Von der CVP weiss man noch nicht so genau, wohin die Reise geht, auf jeden Fall nach rechts, unklar ist zur Zeit nur noch, wie weit rechts.

Alle starren sie auf die SVP

Wie das Kaninchen vor der Schlange starren alle auf die von Blocher und Maurer unter Einsatz riesiger Geldmittel ins rechte Abseits geführte SVP, was sich diese wieder für neue Provokationen einfallen lasse und mit welchem neuen Tabubruch sie heute wieder aufwarte. Alle lassen sie sich ihre politische Agenda von der SVP diktieren, alle empören sie sich immer wieder mehr oder weniger lauthals über die Ungezogenheiten ihrer Konkordanzpartnerin, aber alle sitzen sie mit ihr am gleichen Regierungstisch. Samuel Schmid sei eben einer vom anständigen Flügel, heisst es dann jeweils entschuldigend, dass aber der unanständige Flügel schon längst den Kurs bestimmt, ist aber allzu offensichtlich.

Eine der Parteien, die mit am Tisch sitzt, wird sich unter der neuen Leitung mit Empörung in Zukunft wohl eher zurückhalten, die FDP, denn was Blocher verkündet, kann Bührer nur recht sein: Steuern senken, heisst der Refrain, den Blocher nur etwas lauter als Bührer singt, aber die Harmonie ist unüberhörbar. Im Windschatten der Kahlschlagforderungen der SVP kommt dann die FDP als gemässigte vergleichbar harmlos daher. Aber beide wollen das Gleiche: eine egoistische Ellenbogengesellschaft mit einem kaputtgesparten Staat.

Beschönigend nennen sie das die Eigenverantwortung und Freiheit des Bürgers. Im Buhlen um Wählerstimmen findet zwischen den bürgerlichen Parteien ein geradezu grotesker, von der SVP diktierter Wettbewerb darüber statt, wer denn die aggressivste Steuerabbauerin sei. Die Frage, was für Aufgaben sinnvollerweise der Staat noch zu übernehmen habe, rückt dabei völlig in den Hintergrund und es geht nur noch um die Höhe der Prozente um die man Steuern senken will und um die Anzahl Millionen und Milliarden, die dem Staat entzogen werden sollen. Dabei wird suggeriert, dass das Geld dem armen Steuerzahler böswillig aus der Tasche gezogen werde um für irgend welchen Unsinn ausgegeben zu werden. Staatliches Handeln wird tel quel als Verschleuderung von Steuergeldern diskredidiert. Eine fatale Politik für all jene, die auf gute öffentliche Schulen, gute öffentliche Verkehrsmittel, gute öffentliche Spitäler, ein gutes Sozialversicherungssystem, gute öffentliche kulturelle Institutionen, kurz und gut auf einen guten Service publique angewiesen sind und das ist die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung. Aber die SVP hat auch hier ein Rezept parat: wem dann all diese Sicherheiten einmal genommen sind, dem bleibt dann noch eine Gewissheit: Schweizer, Schweizerin zu sein, das kann einem niemand nehmen. So holt die SVP die Verunsicherten wieder ins gemeinsame Boot. Der gemeinsame Feind sitzt dann draussen, alles Fremde, das böse Ausland und Brüssel. Hat das nicht schon Bruder Klaus gesagt?

Aufgeregtheit statt Nachhaltigkeit

Angesichts der gewaltigen Herausforderungen, die sich der Politik heute stellen, sind diese parteipolitischen Aufgeregtheiten von einer unglaublichen und fahrlässigen Kurzsichtigkeit. Als neuestes Beispiel dieser Art ist der Angriff der SVP auf die bundesrätliche Klimapolitik zu interpretieren. Er passt perfekt ins Szenario einer auf kurzsichtige Effekthascherei ausgerichteten Partei und wird, das ist leider zu befürchten, von den anderen bürgerlichen Parteien vor lauter Angst vor dem Erfolg der SVP Support halten. Mit ihrer Forderung, den CO2-Ausstoos nicht in dringend nötigem Ausmass zu reduzieren, gebärdet sich die SVP auch im ökologischen Bereich immer mehr als Wegbereiterin einer Politik, die sich um die Lebensgrundlagen der kommenden Generationen foutiert. Es ist zu befürchten, dass sie Nachahmer in all jenen politischen und wirtschaftlichen Kreisen finden wird, denen die ökologischen Forderungen schon immer ein Dorn im Auge und ein Hindernis auf dem Weg zum ungehemmten und raschen Profit waren.

Dabei findet ein gigantischer Verdrängunsprozess statt. Denn diese auf kurzfristigen Gewinn und Effekt ausgerichteten Forderungen lenken von den grossen Fragen, auf die die Politik eine Antwort geben müsste, völlig ab. Denn der Lastwagenstau am Gotthard, der Streit um den Flughafen Kloten und der Rinderwahnsinn sind Ausdruck des gleichen Problems: ein ausser Rand und Band geratenes Wachstumsmodell, das nur drei Prinzipien huldigt: immer mehr, immer schneller, immer billiger. Dass dabei die Umwelt vor die Hunde geht wird genau so ausgeblendet wie die Tatsache, dass die Menschen des Südens immer mehr in Armut versinken. Das kann es ja wohl nicht sein!

Über morgen hinaus denken ist gefragt

Auf diese Fragen Antworten zugeben, ist das, was wir Grüne seit unserem Bestehen tun. Und wir tun dies auch dann, wenn die grosse ökologische Betroffenheit, ausgelöst durch die Waldsterbendebatte der 80er Jahre nicht mehr auf der tagespolitischen Agenda steht und uns der neoliberale und modernistische Wind steif um die Ohren bläst. Wir tun dies unbeirrt und hartnäckig auch dann, wenn man uns mit dem Etikett "konsevativ" in die Ecke der Ewiggestrigen zu stellen versucht. Wir tun dies in der Überzeugung, dass sich unsere Anliegen nicht in Vierjahreswahlperioden lösen lassen, weil wir von der Langfristigkeit grüner Politik überzeugt sind. Was an einem Wachstumsmodell, das die Lebensgrundlagen zerstört, denn modern sein soll, hat mir bisher noch niemand glaubwürdig darlegen können.

Qualifiziertes Wachstum statt Wachstum um jeden Preis

Wir stellen kritische Fragen zum Wachstum und bieten nur Hand, wenn dieses Wachstum nachhaltig ist. Da unterscheiden wir uns von der SP, welche Wachstum zur Lösung der sozialen Frage a priori gutheisst und die ökologische Frage als Nebenwiderspruch dazu versteht. Deshalb tritt für die SP die Ökologie immer wieder in den Hintergrund, wenn es wirtschaftlich kriselt.

Anders bei uns Grünen. Für uns gibt es kein Politik, die nicht den drei Prinzipien der Nachhaltigkeit im gleichen Masse genügt: Ökologie, Ökonomie und Soziales. So könne wir nie einem Wachstum zustimmen, das auf Kosten der Umwelt und der betroffenen Menschen geht, wie das zum Beispiel mit dem geplanten Ausbau des Flughafens Zürich der Fall ist. Nur um den wirtschaftlichen Interessen der Flughafenbetreiber gerecht zu werden, sollen die berechtigten Forderungen der Bewohnerinnen und Bewohner der Flughafenregion nach Schutz vor Lärm und der Schutz der Umwelt hintenan gestellt werden. Nicht mit uns! Grüne Politik heisst, dass die drei Prinzipien der Nachhaltigkeit bei jedem Entscheid im gleichen Masse in die Waagschale gelegt werden müssen. Deshalb gibt es kein Wachstum um jeden Preis, sondern nur ein qualifiziertes. Deshalb sagen wir dort ja zum Wachstum, wo dieses im oben erwähnten Sinn nachhaltig ist: bei der Weiterentwicklung erneuerbarer Energien, der Ökologisierung der Landwirtschaft, dem Ausbau des öffentlichen Verkehrs, um ein paar Beispiele zu nennen. Die von uns Grünen unter dem Titel "Energie statt Arbeit besteuern" eingereichte Initiative für eine ökologische Steuerreform wird diesem Anspruch gerecht. Durch eine fiskalische Belastung nicht erneuerbarer Energien werden diese sparsamer verbraucht und damit wird die Umwelt geschont. Gleichzeitig verschafft sich die Wirtschaft durch das Entwickeln energiesparender Produktionsmethoden europaweit eine gute Marktposition, denn die europäischen Staaten sind dabei, ihre Steuersysteme in Richtung einer ökologischen Steuerreform umzubauen. Und auch, was die Protokolle von Kyoto zur Senkung des CO2-Ausstosses anbelangt, haben die europäischen Nachbarn nicht die geringste Absicht, den Bushschen Angriffen zu folgen, im Gegenteil! Ironie der Geschichte: die sonst stets auf den nationalen Sonderweg getrimmte SVP läuft plötzlich dem amerikanischen Präsidenten nach!

Globales Denken gehört zum Selbstverständnis der Grünen. Wir sind immer dann dabei, wenn es um Solidarität und Menschenrechte und um den Schutz der Lebensgrundlagen aller Menschen dieser Erde geht, nicht aber beim Verteidigen egoistischer Privilegien. Da dies die ganz grossen Herausforderungen dieses Jahrhunderts sein werden, geht uns die Arbeit bestimmt nicht aus!

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