Unbeirrt trotz Niederlagen

| erchienen in «Wendekreis»

«Ich habe schwierige Themen nie gescheut»

Sie war jahrelang das Aushängeschild der Grünen Partei der Schweiz, engagiert sich hartnäckig für all jene, die am Rand stehen: Migrantinnen, Ausländer, Frauen, Erwerbslose: Cécile Bühlmann. Ein Gespräch über Niederlage, Macht und Politik.

Cécile Bühlmann, Sie sind eine kämpferische, engagierte Frau, haben sich viele Jahre lang als Politikerin für Minderheiten und Randgruppen engagiert – und mussten dabei immer wieder Niederlagen einstecken. Ist das nicht frustrierend?
Das ist nur dann frustrierend, wenn man die eigene Rolle in der Politik so definiert, dass es wichtig ist, einzelne Ziele umzusetzen. Ich aber war immer überzeugt davon, dass diese Ideen, für die ich einstehe, zukunftsträchtig sind, dass sie immer wieder in den politischen Prozess einfliessen müssen, dass diese Anliegen permanent angemahnt werden müssen.

Und deshalb haben Sie trotz der vielen Rückschläge die Lust an der Politik nicht verloren?
Ja. Geholfen hat mir dabei die absolute Gewissheit, dass das richtig ist, wofür ich mich einsetze – und dass mir die Wissenschaft Recht gibt. Es gibt ja heute keine glaubwürdigen Wissenschafterinnen und Wissenschafter mehr, die den Einfluss der Menschen auf den Klimawandel abstreiten oder die Notwendigkeit einer nachhaltigen Umweltpolitik. In den Bereichen, für die ich eintrete, geht es nicht um Modeerscheinungen, sondern um grundlegende Veränderungen im Verhalten. Dafür braucht man einen langen Atem.

Sie sind – von aussen betrachtet – im Lauf der Jahre souveräner geworden im Umgang mit Niederlagen. Stimmt diese Einschätzung?
Ich bin auch weniger angefeindet worden. Man hat sich in den 14 Jahren an mich gewöhnt, mir Respekt entgegengebracht. Offensichtlich wurde geschätzt, dass ich geradlinig und unbeirrbar meinen Weg gehe, nicht zurückweiche.

Wie haben Sie sich gegen Anfeindungen und Angriffe geschützt?
Ich habe versucht genau zu unterscheiden zwischen den Angriffen auf die Person Cécile Bühlmann und jenen auf das Symbolische, das ich verkörpere. Angegriffen wurde ich ja vor allem für das Menschenbild, das ich vertrete. Natürlich habe ich konkrete Massnahmen ergriffen, um mich zu schützen: Mein Partner hat meine Post vorsortiert, ich habe mich am Telefon nicht mehr auf Diskussionen eingelassen, bei Beschimpfungen aufgelegt...

Die Unterscheidung zwischen Thema und Person kann ich mir bei ökologischenThemen vorstellen – aber funktioniert sie auch dann, wenn es um Minderheiten geht, um Ausländerinnen, Migranten?
Das ist natürlich eine künstliche Trennung, eine schwierige. Und sie gelingt nicht immer. Weil mich zum Beispiel politische Niederlagen in der Ausländer- und Asylpolitik immer auch als Person mit meinen Überzeugungen treffen. Niederlagen, die Menschen betreffen, gehen unter die Haut, sind schwerer zu verdauen als Niederlagen im Bereich Umwelt und Ökologie. Jeder Angriff auf Ausländerinnen und Ausländer ist immer auch ein Angriff auf mich und mein Menschenbild. Meine zentrale Botschaft ist ja die von der Gleichwertigkeit aller Menschen, die wird dadurch in Frage gestellt. Diese Botschaft liegt übrigens allen religiösen Systemen zugrunde und ist in der Bundesverfassung festgeschrieben. Hinter solchen Entscheidungen steckt oft ein rassistisches Menschenbild – das auch von jenen transportiert wird, die sich als fromm und gläubig bezeichnen.

Was würden Sie denn als grösste politische Niederlage bezeichnen?
Die Abstimmung über die erleichterte Einbürgerung im letzten Jahr. Sie hat aufgezeigt, wie wenig Wertschätzung wir der zweiten Generation von Ausländerinnen und Ausländern entgegenbringen, hat demonstriert, dass die von der SVP propagierte Abschottungspolitik mehrheitsfähig geworden ist. Wir sind deutlicher gescheitert als noch vor zehn Jahren, als das Anliegen nur am Ständemehr scheiterte. Die Saat ist also aufgegangen, die Mobilisierungspolitik der SVP hat Erfolg.

Trotz all der Niederlagen: Die Grünen sind schweizweit im Aufwind, konnten kürzlich in Bern einen fast historischen Erfolg verbuchen. Ist das auch ein persönlicher Erfolg für Sie – und folgt schon bald eine Zeit der Siege?
Es ist ein Kollektiverfolg, zu dem ich sicher auch ein wenig beigetragen habe. Aber in der Politik braucht es Mehrheiten. Und die zu erreichen, bleibt auch in Zukunft schwierig. Natürlich können wir jetzt mehr Druck erzeugen, können durch unsere Präsenz in National- und Ständerat und in den kantonalen Exekutiven unsere Anliegen besser in die Öffentlichkeit bringen. Leider sind auch bei den Grünen zurzeit die Frauen nicht sehr erfolgreich: Wir haben nur noch in den Städten Zürich und Bern eine Frau in der Exekutive. Das ist zu wenig...

In Bezug auf Ihr Engagement für Gleichberechtigung war die Einführung der Mutterschaftsversicherung einer der grössten politischen Erfolge.
Ja, ganz klar. Aber auch hier besteht die Gefahr, dass bei der Umsetzung die fortschrittlichen Kantone unter Druck geraten. Auch hier zeigt sich wieder, wie die SVP funktioniert: Sie will uns einreden, dass das Volk genau die 14 Wochen will – und nicht mehr. Das ist blanker Unsinn.

Über welche Erfolge konnten Sie sich sonst noch freuen?
Über das Gleichstellungsgesetz in den 90er-Jahren. Und natürlich über die Einführung der Rassismusstrafnorm 1994. Das würden wir heute vielleicht nicht mehr erreichen.

Weil AusländerInnen und Ausländer in der Schweiz von heute die Verlierer sind?
Ja. Sie – und alle anderen, die am Rand stehen, die nicht auf der Sonnenseite geboren sind. Schauen Sie doch, was heute passiert: Wir verschlechtern den Zugang zur Invalidenversicherung und zum Asylverfahren, wir verschärfen die Zugangsbestimmungen für Ausländerinnen und Ausländer aus Nicht-EU-Staaten, wir verhindern die Integration der Zugewanderten, diskriminieren Menschen, die aus dem Arbeitsprozess herausfallen. Das soziale Netz wird immer dünner.

Wer verliert in der Politik?
Diejenigen Parteien, die dem Druck der SVP gefolgt sind – und so ihr Profil verloren haben. Also CVP und FDP.

Und die SVP?
Sie will eine Gesellschaft, die ganz genau nach ihren Vorstellung funktioniert, weil sei ja meint, sie allein vertrete das Volk. Dazu braucht sie die Mehrheit – und sie nennt das Demokratie. Demokratie ist aber nicht nur die Meinung der Mehrheit: Genau so wichtig ist auch der Schutz der Minderheiten. Weil die Demokratie ja gewährleisten soll und muss, dass die Grundrechte aller gewahrt werden. Und deshalb geht es nicht an, per Mehrheitsbeschluss und im Namen der Demokratie die Rechte von Minderheiten zu verletzen. Deshalb sind Urnenabstimmungen bei Einbürgerungen mit dem Rechtssaat und der Verfassung nicht vereinbar.

Trotzdem hat diese Politik Erfolg. Warum?
Demokratie ist eine sehr anspruchsvolle Form der Mitbestimmung. Es besteht immer auch die Gefahr de Manipulation. Und wenn es den Menschen nicht gut geht, ist es einfach, Neid und Missgunst zu schüren.

Geht es uns denn wirklich so schlecht? Schliesslich sind wir ja das reichste Land der Welt...
Das stimmt. Aber dafür bezahlen wir einen hohen Preis, die Schweiz leidet unter einem hohen Leistungsdruck, unter Konsumzwang. Viel haben kann ja wohl nicht wirklich sinnstiftend sein. Und wenn Sie sich die Zunahme an psychischen Erkrankungen anschauen, den wachsenden Druck in der Arbeitswelt. Da haben wir wenig Grund, stolz auf unseren Reichtum zu sein.


Zur Person
Cécile Bühlmann ist 1949 geboren, wuchs in Sempach (Luzern) auf, absolvierte das Lehrerinnenseminar, unterrichtete unter anderem an Übergangsklassen für Fremdsprachige und als Lehrerin für Deutsch für Fremdsprachige. In den 80er-Jahren arbeitete sie als Beraterin für ausländische Eltern in Schulfragen auf der Ausländerberatungsstelle ARBAL des Kantons Luzern, später als Beauftragte für Interkulturelle Erziehung beim Erziehungsdepartement Luzern. Von 2004 bis 2005 war sie Fachberaterin und Dozentin für Interkulturelle Pädagogik an der Pädagogischen Hochschule Zentralschweiz Luzern. Seit 2005 ist sie Geschäftsleiterin des Christlichen Friedensdienstes cfd in Bern. Cécile Bühlmann engagiert sich seit Mitte der 70er-Jahre in der Frauenbewegung, ist Vizepräsidentin der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus, Vorstandsmitglied der Gesellschaft Minderheiten Schweiz, Vizepräsidentin der Kantonalen Kommission für Integrations- und Ausländerpolitik in Luzern. 1991 bis 2005 war sie Mitglied des Nationalrates, 1993 bis 2005 Präsidentin der Grünen Nationalratsfraktion. Neu ist sie Stiftungsratspräsidentin von Greenpeace Schweiz.


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