«Mich verletzt das Etikett Gutmensch»

| Tages-Anzeiger

Interview zum letzten Tag im Nationalrat

Die Grüne Cécile Bühlmann hatte gestern ihren letzten Tag im Nationalrat. Ihr Ratschlag zum Abschied: Die Grünen sollen nur in den Bundesrat, wenn die SVP dort rausfliegt.

14 Jahre im Parlament, 12 Jahre als Fraktionschefin - wie schwer fällt es da, ein Stück Macht abzugeben?
Die Macht einer Oppositionspolitikerin ist beschränkt. Es ist höchstens eine Macht der Ideen. Diese abzugeben, ist trotzdem nicht einfach. Über mein Mandat hatte ich eine recht grosse Präsenz in den Medien. Ich konnte dort vieles sagen, was mir wichtig ist.

Schmerzt der Bedeutungsverlust?
Auf jeden Fall. Das Interesse an meiner Person wird schnell schwinden, wenn ich nicht mehr im Parlament bin. Diesen Bedeutungsverlust zu verkraften, ist sicher nicht leicht. Das weiss ich von allen, die zurückgetreten sind. Solange einen viele Journalisten fragen, überschätzt man wohl seine Bedeutung.

Wie viel Macht haben heute die Grünen? Was können sie bewirken?
Unsere Hauptaufgabe ist es inzwischen, Errungenschaften aus den Achtziger- und Neunzigerjahren zu retten versuchen - in der Umweltpolitik, aber auch in anderen Bereichen. So wollen die Bürgerlichen das Buwal zusammensparen und die Gleichstellungsbüros auflösen. Zudem attackieren sie grundsätzlich den Staat, den sie nur noch als Last für den Steuerzahler diffamieren. Da wird Hirnwäsche betrieben.

Als Sie Anfang der Neunzigerjahre in den Rat kamen, hatte die SVP 25 Sitze. Heute sind es 56. Was hat dies verändert?
Es hat eine Verhärtung stattgefunden. Am gefährlichsten schlägt sich dies in der Migrationspolitik nieder, wo die SVP ihre Linie immer stärker durchsetzen kann. Eingewanderte und Asyl Suchende werden diffamiert und ausgegrenzt.

Sie bezichtigen die SVP der Fremdenfeindlichkeit. Gehen Sie da nicht zu weit?
Ich halte einfach fest: Der Diskurs, den diese Partei führt, ist fremdenfeindlich und hetzerisch. Es machen nicht alle SVP-Politiker mit, ihre Meinungsführer und die Parteizentrale funktionieren aber so.

Suchen Sie zumindest das Gespräch, etwa mit einem Christoph Mörgeli?
Nein, was soll ich mit jemandem den Dialog suchen, der die politischen Gegner verachtet und verhöhnt, alle anders Denkenden ausgrenzt und ihnen unlautere Motive unterstellt?

Seit Ihrer Wahl in den Rat wurde auch Rot-Grün stärker. Warum können Sie FDP und CVP nicht häufiger auf Ihre Seite ziehen?
Das ist eine Frage der Milieuzugehörigkeit. FDP und CVP definieren sich als bürgerliche Parteien. Wenn die SVP diktiert, was bürgerlich ist, zucken sie zusammen und lassen sich beeinflussen.

Wäre nicht mehr möglich? Hängen Sozialdemokraten und Grüne nicht auch an der Rolle der moralisch sauberen Verlierer?
Wir gefallen uns nicht einfach in der Opferrolle. Am Schluss schwenken wir häufig auf Kompromisse ein. So unterstützten wir sogar das Schengen-Abkommen, trotz grosser Bedenken. Als Oppositionspartei ist es aber nicht unsere primäre Aufgabe, Mehrheiten zu beschaffen. Wir müssen als Vordenker aufzeigen, wie die Probleme zu lösen sind. Hartnäckig thematisieren wir den Klimawandel, auch wenn das niemand mehr hören will. Einen Teil der Bevölkerung überzeugen wir damit auch. Bei allen Wahlen der vergangenen Jahre legten wir zu.

Wie erklären Sie sich diesen Erfolg?
Offenbar gelingt es uns, fortschrittliche Bürgerliche anzusprechen, die von ihren Parteien enttäuscht sind. Das Erfreuliche ist ja, dass wir seit einiger Zeit nicht mehr auf Kosten der SP gewinnen. Vielmehr holen wir zusätzliche Stimmen ausserhalb des rot-grünen Spektrums.

Die SP spekuliert bereits auf einen dritten rot-grünen Bundesratssitz im Jahr 2007. Die Grünen zögern. Warum?
SP-Präsident Hans-Jürg Fehr geht es um etwas Grundsätzliches: Rot-Grün soll 2007 so stark werden, dass wir im Bundesrat die Machtfrage stellen können. Was in den Städten sehr gut funktioniert, die rot-grüne Zusammenarbeit, ist auch auf Bundesebene das langfristige Ziel. Als Erstes geht es nun darum, drei linke Bundesratssitze zu erobern. Ob die Grünen selbst in die Regierung einziehen sollen, muss noch gründlich diskutiert werden.

Parteichefin Ruth Genner meinte, man könnte auch eine dritte SP-Kandidatur unterstützen. Warum beschränken Sie sich auf die Rolle des Juniorpartners der SP?
Wir wollen nicht einfach in die Regierung, um drinnen zu sein. Gemeinsam mit Christoph Blocher zu regieren, bringt nichts. Unsere grüne Bundesrätin müsste beispielsweise eine katastrophale Asyl- und Klimapolitik mittragen. Unser Programm bliebe auf der Strecke.

Die Grünen machen nur in einer Mitte-links-Regierung ohne SVP mit?
Letztlich sehe ich keine andere Möglichkeit. Es bräuchte keinen Koalitionsvertrag, aber eine Abmachung, dass man konstruktiv zusammenarbeiten will und einen minimalen Konsens hat. Das ginge möglicherweise zwischen CVP, FDP, SP und den Grünen. Mit der SVP funktioniert es nicht, wie wir bereits heute sehen.

Ihr Nachfolger in der grünen Fraktion ist ein Mann, Louis Schelbert. Die zehnköpfige Nationalratsdelegation aus Luzern wird künftig nur noch aus Männern bestehen.
Das ist ganz schwierig für mich. Ich bin ja als Feministin in die Politik gegangen.

Was haben Sie falsch gemacht?
Halt, diese Verantwortung übernehme ich nicht. Es ist einfach so, dass Männer ihre Ziele ehrgeiziger verfolgen. Frauen gehen weniger strategisch vor. Oft bleiben sie auch nur kürzere Zeit in der Politik, ein politisches Amt bleibt für sie eine Episode.

Bei den Grünen und in der SP werden Frauen doch begünstigt.
Es ist bei uns selbstverständlich, dass qualifizierte Frauen in Führungspositionen aufrücken können - sei es als Parteipräsidentin oder Fraktionschefin. Trotzdem ist nicht gesichert, was wir einmal erreicht haben. Wir linken Frauen müssen gut aufpassen, dass da nicht plötzlich wieder alles Männer sitzen.

Bei Ihnen gab immer auch Ihr Äusseres zu reden: die Haarfarbe und die bunte Kleidung. Hat Sie das gestört?
Natürlich stelle ich fest, dass man über Äusserlichkeiten fast nur bei Frauen spricht. Ich bin mir aber durchaus bewusst, dass mein farbiger Stil auffällt. Von rothaarigen Frauen höre ich immer wieder, dass sie darauf angesprochen werden, mir ähnlich zu sein. Ich scheine so eine Art Label geworden zu sein.

Ein anderes Etikett ist der so genannte Gutmensch - antirassistisch, ökologisch, sozial. Kürzlich beklagten Sie sich darüber, dass Sie als solcher belächelt würden.
Das macht mir zu schaffen. Denn was heisst das zu Ende gedacht? Jemand, der sich für zentrale Werte des menschlichen Zusammenlebens einsetzt und die Grundrechte verteidigt, wird lächerlich gemacht. Man wird in die Gutmensch-Ecke gestellt und als weltfremd belächelt, manchmal auch von den Medien. Letztlich wird damit mein Menschenbild, das von der Gleichwertigkeit aller Menschen ausgeht, verspottet. Genau deshalb verletzt mich das Etikett Gutmensch so sehr.


zur Person

Cécile Bühlmann vertritt den Kanton Luzern seit 1991 im Nationalrat. Bis zur Herbstsession leitete sie jahrelang die grüne Fraktion und profilierte sich vor allem in migrationspolitischen Fragen. Nun hört die 56-Jährige im Rat ganz auf, weil sie sich auf ihre neue berufliche Arbeit konzentrieren will: Sie ist Geschäftsleiterin des Christlichen Friedensdienstes (CFD) in Bern, einer feministisch und friedenspolitisch ausgerichteten NGO. Weiterführen wird sie ihr Amt als Vizepräsidentin der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus.


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