Fremdem neugierig und offen begegnen

| doppelpunkt Nr. 3

Neugierde und Entdeckerfreude, das wurde ihr vielleicht nicht in die Wiege gelegt. Gleichwohl wurden diese zwei Eigenschaften zu den tragenden Pfeilern ihrer Berufe. Diese waren bei Cécile Bühlmann immer eng verknüpft mit den Begegnungen zwischen der Schweiz und ihren Fremden. Ein Porträt.

"Dreissig Jahre, nein - zweiunddreissig Jahre schon", Cécile Bühlmann stutzt; so wie jemand staunend innehält im Gedanken daran, dass wieder ein paar Jahre zusammengekommen sind. Zweiunddreissig Jahre schon lässt sie das Thema Schule und Einwanderung nicht mehr los.

Angefangen hatte es in Littau. Cécile Bühlmann war Primarlehrerin, kam gerade erst vom Seminar, war aber doch nicht vorbereitet auf all die fremdsprachigen Kinder in ihrer Schule. Diese "existierten" in der damaligen Lehrerausbildung noch nicht. Das einzige Rüstzeug; das sie mitbrachte, waren demnach ihre Neugierde und ihre Sprachbegeisterung. Bereits in der Sekundarschule hatte sie Französisch und Italienisch zu lernen begonnen, dann folgte ein Sprachaufenthalt dem andern: Sommer für Sommer drückte sie in einer anderen europäischen Stadt die Schulbank, sass über Vokabularien, Grammatiken, übte und parlierte. Sprachen zu lernen, fiel ihr leicht, fällt ihr noch heute leicht - eine Leidenschaft. So kamen allmählich einige Sprachen zusammen: Französisch, Englisch, Italienisch, Spanisch und Portugiesisch. Später lernte sie noch Neugriechisch, versuchte sich an Kroatisch und biss sich schliesslich an Türkisch die Zähne aus.

Kein Wunder, wurde Cécile Bühlmann in ihrer Gemeinde zu einer regelrechten Anlaufsteile. Nach zwei Jahren übernahm sie eine Auffangklasse für fremdsprachige Kinder. Sie übersetzte an Elternabenden und Elterngesprächen, vermittelte, wurde mal von Kolleginnen und Kollegen, mal von ausländischen Eltern um Rat gefragt. Einige Jahre später konnte sie daraus einen neuen Beruf machen: 1980 übernahm sie die neu geschaffene Stelle für die Beratung ausländischer Eltern in Schulfragen beim Kanton Luzern; Ende der 80er-Jahre wechselte sie schliesslich ins Amt für Volksschulbildung.

Seit zwölf Jahren arbeitet sie da als Beauftragte für interkulturelle Erziehung: Sie berät Schulbehörden, unterrichtet Interkulturelle Pädagogik an den Lehrerseminarien, ist Anlaufsteile für Lehrerinnen und Lehrer für heimatliche Sprache und Kultur, verfolgt die Fachdebatten in der Interkulturellen Pädagogik, koordiniert die verschiedenen kantonalen Gremien und betreibt "networking". Kontakte zu knüpfen und zu vermitteln, ist ein wichtiger Teil ihrer Tätigkeit. Und da sie in den 90ern in die nationale Politik "rutschte", unterdessen Präsidentin der Grünen Nationalratsfraktion und Vizepräsidentin der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus ist, reichen ihre Kontakte umso weiter.

Eine gemischte Bilanz

Nach all den Jahren zieht Cécile Bühlmann allerdings eine gemischte Bilanz. Die interkulturelle Erziehung habe einiges erreicht. Die Ausbildung der Lehrpersonen sei heute zwar noch nicht so, wie sie es sich wünschte, "aber wesentlich besser als früher". Immerhin ist es heute nicht mehr denkbar, dass junge Lehrerinnen und Lehrer die Seminarien verlassen ohne jedes Wissen über Interkulturelle Pädagogik. "Aber eine wirkliche Chancengleichheit von Immigrantenkindern und Schweizerkindern ist nicht erreicht worden", kritisiert Cecile Bühlmann, und verweist auf die Studie Kronig, die diesbezüglich eine deutliche Sprache spricht.

Nachteile der Separation

Ende der 90er-Jahre, so die Studie, wurden in der Schweiz dreimal mehr Immigrantenkinder in Sonderklassen überwiesen als 1980, während die Überweisungen von Schweizerkindern im gleichen Zeitraum um einen Viertel zurückgingen. Dieses Missverhältnis lässt sich, so die Verfasser der Studie, weder mit gestiegener Einwanderung noch mit einem angeblich sinkenden Niveau der Kinder oder mit grösserer kultureller Distanz begründen. Ein Teil der Ursachen wird von der Studie dagegen im separativen Schulsystem selbst geortet. Dass gemäss jener Studie ein nicht unwesentlicher Teil der Lehrpersonen die Tendenz hat, fremdsprachige Kinder grundsätzlich zu unterschätzen, ist für Cécile Bühlmann ernüchternd. Sie räumt selbstkritisch ein, die interkulturelle Erziehung sei wohl dahingehend zu hinterfragen, ob sie nicht durch ihre Fokussierung auf die fremde Kultur von Migrantenkindern die Vorstellung von homogenen Kulturen gefördert und dadurch Stereotypisierungen Vorschub geleistet habe. Deshalb glaubt Cécile Bühlmann an die Notwendigkeit, den Brennpunkt des Interesses ein wenig zu verschieben: weg von den Herkunftsländern der Einwandererfamilien hin zu ihrer Situation in der Schweiz. Es sei zwar wichtig, als Lehrperson viel zu wissen über die Herkunft von Immigrantenkindern, ist Cécile Bühlmann überzeugt. Doch eine Reise nach Anatolien genüge nicht, um die türkischen Kinder in den Klassenzimmern zu verstehen. Denn: "Wodurch wird ein Kind von Einwandernden mehr geprägt: durch die Kultur seiner Eltern oder durch seine aktuelle Lebenswelt in der Schweiz?"

Auf der Suche nach Auswegen aus der Stereotypisierungsfalle wird die Betonung nun stärker auf Heterogenität gelegt. Für Cécile Bühlmann ist das zwar eine sinnvolle Richtung, wenn auch noch nicht die Lösung: "Ob all der Individualisierung darf nicht vergessen gehen, dass es noch immer spezifische Benachteiligungen gibt." Zum Beispiel diejenige, ein ausländisches Kind zu sein oder ein Mädchen.

Kulturelle Gegensätze

Weder die eine noch die andere dieser Diskriminierungen sind ihr fremd. Diese Geschichte führt weiter zurück als bloss nach Littau, sie reicht in die 5Oer-Jahre, nach Sempach. Da ist Cécile Bühlmann aufgewachsen, zusammen mit drei Schwestern und einem Bruder. Ihr Vater stammte aus einer "streng konservativen katholischen" Innerschweizer Familie. Ihre Mutter war Italienerin. Deren Familie war - in die Schweiz eingewandert, als sie fünf Jahre alt war - betont antiklerikal eingestellt. Die Gegensätze hätten nicht grösser sein können. Cécile Bühlmanns italienischer Grossvater war im Spanischen Bürgerkrieg umgekommen, ihr Onkel kehrte nach faschistischer Gefangenschaft von dort zurück. Und manchmal, wenn er zu Besuch kam, erzählte er Geschichten aus seinem Leben, die sie unheimlich faszinierten - spannende und abenteuerliche Begebenheiten aus einer Welt, die sie sonst nur aus Büchern kannte.

Neugierde statt Ablehnung

Vielleicht kommt es daher, dass sie dem Anderen zunächst mal mit Neugierde und offener Entdeckerfreude begegnet und nicht mit ängstlicher Ablehnung. Die Geschichten, die ihr Onkel aus der Fremde mitbrachte, waren für sie immer faszinierend, nie bedrohlich. Genauso interessant waren auch die Einblicke in die fremden Welten der Einwandererfamilien, die sie als junge Lehrerin erhielt, wenn sie als Übersetzerin auf Elternbesuch mitging.

Möglich auch, dass es der Einfluss ihrer Mutter war. Sehr sensibel habe die auf die Herablassung reagiert, mit der man in der Schweiz damals den Italienerinnen und Italienern - den "Tschinggen" - begegnete, erzählt Cécile Bühlmann. Über den Umgang mit Fremden, über das schreckliche Schicksal der Juden in Nazideutschland sei in ihrer Familie immer wieder engagiert diskutiert worden. Und das empfindet sie heute als besonderes Glück: in einer Familie aufgewachsen zu sein, in der es keinerlei Fremdenfeindlichkeit gab. Von ihrem Vater etwa - heute 85 Jahre alt - habe sie bis heute noch nie nur einen einzigen rassistischen Spruch gehört.

Jungs dürfen mehr

Waren es also diese Erfahrungen, die Cécile Bühlmanns Weg in die interkulturelle Erziehung vorgespurt haben, ihren Einsatz gegen Rassismus und Diskriminierung in der Politik? Was prägt einen Menschen? Hier stutzt Cécile Bühlmann erneut. Es gäbe ja auch die Konvertiten, neu Eingebürgerte oder Secondos, die sich in der SVP gegen weitere Zuwanderung stark machten. Es hätte also alles auch anders kommen können. Mit denselben Erfahrungen hätte sie ja auch - vielleicht als Rebellion gegen die Familie - in der SVP landen können. Hätte.

Manchmal kommen die Anstösse ja von unerwarteter Seite. James Schwarzenbach mit seiner Überfremdungsinitiative hatte Cécile Bühlmann - ungewollt - die Augen geöffnet für die Diskriminierung der Frauen. Dass sie damals nicht an die Urne durfte, weil Frauen 1970 immer noch kein Stimmrecht hatten, ärgerte sie masslos. Und dann sei ihr einiges klar geworden, erzählt sie. Warum es zum Beispiel so selbstverständlich war in ihrer Familie, dass ihr Bruder studieren durfte und nicht eines der Mädchen, die allesamt begeisterte Schülerinnen waren. Und dass sie als Kind darum manchmal lieber ein Junge gewesen wäre, weil die mehr durften. Mädchen war nichts erlaubt.

Also trat sie in die "Organisation für die Sache der Frau" ein und begann ihren Weg in die Politik, der sie bis zu einer Bundesratskandidatur im Dezember 1999 führte. Heute, nach über zehn Jahren im Nationalrat, wirkt sie noch überhaupt nicht müde, trotz zuweilen schier unerträglicher Arbeitslast. Doch auf erhöhten Druck reagiere sie in der Regel mit grösserer Kampflust, sagt Cécile Bühlmann. Das ist wohl so etwas wie eine Gabe.

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