Von den Widerständen gegen die Gleichstellung

Frauen gehören ins Haus, ins Bundeshaus, ins Rathaus, ins Gemeindehaus!

Referat bei den SP-Frauen, Chur 12. Mai 2007

Vor kurzem ist Josy Meier gestorben, es war eine der eindrücklichsten Beerdigungen, die ich je erlebt habe. Es hätte ihr gefallen, denn sie wünschte, es müsse dann noch etwas gehen.

Sie hat diesen Satz einmal gesagt, ich weiss nicht mehr aus welchem Anlass, aber er ist zu einem Leitmotiv für viele Frauen geworden, die es satt hatten, auf die Rolle der Hüterin von Haus und Herd reduziert zu bleiben. Das clevere Wortspiel war typisch für Josy Meiers Witz und als kleine Hommage an sie habe ich für meine heutigen Ausführungen diesen Titel gewünscht.

Ich möchte mit ein paar Fakten in Erinnerung rufen, wo wir heute gleichstellungspolitisch stehen damit hoffentlich gut und eindrücklich ersichtlich wird, warum Sie alle in diese Häuser müssen!

Diese Fakten sind Ihnen sicher mehr oder weniger gut bekannt. Es ist eine kurze Bilanz der letzten 30 Jahre. So alt ist etwa die Neue Frauenbewegung, die nach der Frauenstimmrechts-Bewegung in den 70-er Jahren mit dem Slogan «Das Private ist politisch» ihren Anfang nahm.

Gleichstellung der Geschlechter – eine Bilanz der letzten 30 Jahre

Ein Nebeneinander von Fortschritt und Stagnation kennzeichnet das Bild der Gleichstellung zwischen Frauen und Männern zu Beginn des 21. Jahrhunderts in der Schweiz. Während in den Bereichen Ausbildung und Erwerbsbeteiligung deutliche Fortschritte erzielt worden sind, konnte bei den Erwerbstätigen die ungleiche Geschlechterverteilung auf den Vollzeit- und Teilzeitsektor nicht überwunden werden. Auch bei der Berufswahl junger Männer und Frauen hat es in den letzten Jahrzehnten nur geringe Veränderungen gegeben. Die Unterteilung in typische Frauenberufe und typische Männerberufe ist nach wie vor Realität.

Immer noch die klassische Rollenteilung in der Erwerbs- und Hausarbeit

Die Haus- und Familienarbeit bleibt Sache der Frauen. Durchschnittlich investieren Frauen fast doppelt soviel Zeit wie Männer in diesem Bereich. Das Erwerbsleben der Frauen ist geprägt von Anpassungen an die familiäre Situation: Erwerbsunterbrüche und Teilzeitarbeit sind der Normalfall. Frauen haben im Allgemeinen eine niedrigere berufliche Stellung als die Männer. Weit mehr Frauen als Männer sind Angestellte ohne leitende Funktion. Männer sind deutlich häufiger Selbständigerwerbende oder in leitenden Funktionen. Die Erwerbsquote der Frauen beträgt 59, jene der Männer 77 %. Frauen sind also stärker von Erwerbslosigkeit betroffen.

Der Skandal der ungleichen Löhne bleibt bestehen

Die Löhne der Frauen sind immer noch deutlich niedriger als jene der Männer, der standardisierte monatliche Bruttolohn der Frauen im privaten Sektor betrug 2002 4’586 Franken, jener der Männer 5’796. Das entspricht einer Lohndifferenz von 20.9 %. In der Bundesverwaltung ist er zwar geringer, aber auch immer noch 10.7 %. Seit 1998 stellt man eine Stagnation dieser Unterschiede fest und vielleicht ist das kein Zufall, weil der Druck auf das Thema nicht mehr anhält oder offensichtlich nicht mehr gross genug ist. Nach 10 Jahren Gleichstellungsgesetz wurden in einer Studie insgesamt 269 Gerichtsentscheide und 355 Schlichtungsverfahren ausgewertet und das Fazit lautet: Fortschritte, gewiss, aber eine herausragende Verbesserung kann weder die Arbeitgeber- noch die Arbeitnehmerseite entdecken. Ein etwas besseres Bild als in der Privatwirtschaft gibt es im öffentlichen Sektor, da sind klare Fortschritte erzielt worden. Für Arbeitnehmerinnen ist es immer noch die Angst vor einer Kündigung, die sie von Lohngleichheitsklagen abhält. Mehr als die Hälfte der Arbeitsverhältnisse übersteht eine Lohnklage nicht, ob diese erfolgreich war oder nicht.

Stagniert hat auch die ausgeprägte Unterteilung der Erwerbsbevölkerung in einen männlich geprägten Vollzeitsektor und einen weiblich geprägten Teilzeitsektor. Im Jahr 2000 waren 51 % aller erwerbstätigen Frauen Teilzeit beschäftigt, während dies lediglich auf 9 % der erwerbstätigen Männer zutraf. Gesamthaft betrug der Frauenanteil an den Vollzeit erwerbstätigen Personen knapp 30 %, an den Teilzeit Beschäftigten dagegen 82 %. Wir kennen die Gründe: einerseits bietet eine Teilzeit Erwerbstätigkeit vielen Müttern die Möglichkeit, Beruf und Familie zu verbinden, andererseits wirkt sie sich negativ auf das Einkommen, die beruflichen Aufstiegsmöglichkeiten und die Leistungen der Sozialversicherungen aus.

Eine vor 2 Jahren publizierte Studie des WEF (manchmal kann man sogar Erzeugnisse des WEF gebrauchen) kommt zum Schluss, dass es in der Schweizer Arbeitswelt für Frauen sehr schwierig sei. Beim Messen des global gender cap schneidet die Schweiz vor allem was die Stellung der Frauen in der Arbeitswelt angeht, sehr schlecht ab: von 58 Staaten rangiert sie nur auf dem Platz 42, was die Teilnahme und Integration der Frauen in der Arbeitswelt anbelangt. Tiefe Frauenlöhne, Lohnungleichheit, prekäre Anstellungsverhältnisse und keine Frauen in Kaderpositionen nennt die Studie als Gründe für das schlechte Abschneiden der Schweiz in dieser Studie.

Frauen auch auf dem politischen Parkett untervertreten und gefährdet

Besser weg kommt die Schweiz in dieser Studie was die Stellung der Frauen in der Politik betrifft, da rangiert sie auf Platz 17 der 58 untersuchten Staaten. Meine Interpretation dieses Ergebnisses lautet: da die Politik an Bedeutung verloren hat und die Wirtschaft immer mehr das Primat über der Politik hat, ist die Politik für Männer weniger wichtig und deshalb haben es die Frauen einfacher, ein politisches Mandat zu erhalten. In der Wirtschaft aber, dort wo es wirklich um die Wurst geht, wo Geld, Macht und Einfluss zusammenkommen, wo wirklich über Sein oder Nichtsein entschieden wird, da sind die Männer immer noch fast unter sich und die Frauen haben keinen relevanten Einfluss.

Werfen wir also noch einen Blick auf die Stellung der Frauen in der Schweizer Politik: obwohl die Frauen die Mehrheit der Wahlberechtigten ausmachen, sind Frauen in den Parlamenten und Regierungen untervertreten. Im Nationalrat 26%, im Ständerat 24%, in den kantonalen Parlamenten 26% und in den kantonalen Regierungen 21%. Im Bundesrat haben wir den prozentual höchsten Frauenanteil von 28%!

Einen traurigen Rekord haben die Frauen in der Politik punkto Abwahlen: fast die Hälfte aller Exekutivpolitikerinnen auf Bundes- und Kantonsebene ist unfreiwillig zurückgetreten. In den letzten fünf Legislaturperioden sind von 96 Regierungsrätinnen 9 abgewählt worden - die zurückgetretene Dorothee Fierz ist da noch nicht mitgezählt - das sind 9.4 Prozent. Demgegenüber sind von 724 Regierungsräten deren 20 abgewählt worden, das sind 2.8 Prozent.

Und weil letztes Jahr am 14. Juni Doris Leuthard als erste Frau ohne jeden Widerstand und ohne jede Geschlechterdebatte in den Bundesrat gewählt worden ist, würde ich das noch lange nicht als Zeichen der Normalisierung deuten, sondern eher als Zusammenspiel aller wichtigen Umstände wie, dass die CVP nur noch einen und deshalb unbestrittenen Sitz hat, dass die personelle Auswahl innerhalb der CVP gering ist und dass das Profil der Kandidatin mit dem der Partei sehr konform ist. Und wenn ich Doris Leuthard eines wünsche, dann dies, dass ihr kometenhafter Aufstieg kein schlechtes Omen dafür sei, dass Frauen zwar schnell mehr hochgejubelt werden als Männer, aber beim kleinsten Fehler auch umso brutaler wieder hinunter gemacht werden.

In der Gesetzgebung explizite Gleichstellung – und implizit?

Müsste ich jetzt noch eine Analyse der Rechtslage anfügen, so würde die sehr positiv ausfallen: es gibt meines Wissens kein Gesetz mehr, das explizit die Frauen diskriminiert, da haben Politikerinnen in den letzten 20 Jahren ganze Arbeit geleistet und auch viel erreicht. Implizit aber können sich natürlich auch geschlechtsneutrale Gesetze diskriminierend auf Frauen auswirken. Wenn zum Beispiel die Soziale Sicherheit stark von der Erwerbsarbeit abhängt, und die Frauen so viel weniger in die Erwerbsarbeit integriert sind, wie ich vorhin aufgezeigt habe, so ergibt das eine Schlechterstellung der Frauen in der sozialen Sicherung, obwohl sich kein Gesetzesparagraph mehr finden lässt, der Frauen namentlich diskriminiert. Oder wenn die AHV saniert werden soll, in dem das Frauenrentenalter angehoben wird, so tönt das vordergründig sehr geschlechtergerecht, beim genauen Hinschauen merkt man aber schnell, dass es nichts anderes als eine Sanierung auf dem Buckel der Frauen ist, die mit Gleichstellung wenig zu tun hat.

Ein paar positive politische Highlights der letzten Jahre

Die lang erkämpfte Fristenregelung ist vor drei Jahren mit grosser Mehrheit angenommen worden und eine bescheidene Mutterschaftsversicherung hat nach vielen Anläufen auch endlich eine Mehrheit gefunden. Sogar der Straftatbestand der Vergewaltigung in der Ehe ist als Offizialdelikt ins Strafgesetzbuch aufgenommen worden und vor zwei Jahr hat die Mehrheit der Stimmenden dem Partnerschaftsgesetz deutlich zugestimmt

Alarmierende Tendenzen in neuerer Zeit

Zur Zeit besteht die Gefahr, dass die Errungenschaften der Frauenbewegung in Gefahr geraten, rückgängig gemacht zu werden. Je geringer der politische und gesellschaftliche Druck auf die Gleichstellungspolitik ist und je mehr von Gender und je weniger von Feminismus die Rede ist, umso grösser ist die Befürchtung, dass wir mit starkem Widerstand rechnen müssen.

Hellhörig geworden bin ich, als das «Facts» im Jahre 2001 die Gleichstellungsbüros frontal angriff und die Gleichstellungsbeauftragten generell als Klageweiber ohne Echo abqualifizierte. In der Politik werden die Antifeministen immer lauter, welche die Abschaffung der Gleichstellungsbüros fordern und behaupten, es sei eine Beleidigung für die Frauen, – wie bei den Quoten – denn wirklich gute Frauen hätten solche Hilfsmassnahmen nicht nötig, sie würden es allein auf Grund ihrer Qualität schaffen, die gleichen Positionen wie die Männer zu erreichen.

Auffallend ist, wie regelmässig bei den Budgetdebatten die Gleichstellungsbüros im Visier der Sparer sind und diese haben es in den letzten Jahren noch viel einfacher: sie müssen gar nicht mehr ihre antifeministischen Argumente bemühen, der Hinweis auf die leeren Kassen genügt! Neu und beunruhigend kommt jetzt noch dazu, dass in verschiedenen Kantonen nicht mehr einfach die Abschaffung oder Verkleinerung der Büros gefordert wird, sondern dass reaktionäre Vorstösse gemacht worden sind, die Gleichstellungsbüros in Büros für Familienfragen umzuwandeln. Damit soll die Rolle der Frauen wieder zurückbuchstabiert werden und nicht mehr ihre Emanzipation steht im Vordergrund, sondern das angesichts des Geburtenrückgangs bedrohte klassische Familienmodell soll gerettet werden. Oder in Luzern ist die Umwandlung in eine Stelle für gesellschaftspolitische Fragen passiert, weil nur durch das Verstecken in einer Abteilung mit vielen anderen Themen wie der Integration für AusländerInnen und weitere, hat die einzige Regierungsrätin, die SP-Frau Yvonne Schärli, die Arbeit des Gleichstellungsbüros irgendwie politisch noch retten zu können.

Wie das Beispiel des «Fact»-Artikels zeigt, sind auch die heutigen Medien keine sichere Verbündete im Kampf für die Gleichstellung mehr. Im Gegenteil! Wenn die Story süffig ist, werden auch Gleichstellungsbüros verheizt. Oder weil die Story nicht süffig ist! Die Medienbranche lebt immer mehr von Storys und der Newswert muss gross sein. Da hat das langwierige und unspektakuläre Gleichstellungsthema per se einen schweren Stand, denn die Gleichstellungsarbeit ist ein medial langweiliger Dauerbrenner ohne Möglichkeit, sexy aufgemacht werden zu können, wie es Yvonne-Denise Köchlin in ihrem Artikel «Die Kritik der Medien an den Gleichstellungsbüros ist reaktionär» im «Frauenfragen» 2/2003 beschreibt.

Der politische Rechtsrutsch ist nichts Gutes für die Frauen

In den letzten zwei Wahlen ins Nationale Parlament ist ein regelrechter Rechtrutsch passiert, der den reaktionären Kräften Auftrieb gegeben hat. Die SVP hat massiv zugelegt und ist stärkste Partei geworden, die 55 Mitglieder starke Fraktion hat nur 3 Frauen und eine davon ist die jüngste Frau überhaupt im Parlament. Sie brüstet sich damit, stockkonservativ zu sein. Sie hat denn auch als Einzige die schmalbrüstige Mutterschaftsvorlage noch bekämpft. In einer dem Thema «Frauen in der Politik» gewidmeten «Arena» kurz nach den 2003er Wahlen versuchten sich junge rechte Frauen als die modernen Frauen von heute darzustellen, die kein Problem mit Bundesrat Blocher haben – im Gegenteil, er ist ihr grosses Vorbild – und all das Gerede von Emanzipation als etwas Altmodisches und meine Generation von Feministinnen als verstaubte Vorgestrige darzustellen versuchten, deren Zeit längst abgelaufen sei.

Die Wahl von Christoph Blocher und Hans-Rudolf Merz, die Abwahl von Ruth Metzler und die Nichtwahl von Christine Beerli ist Ausdruck dieser reaktionären Wende und die Abschaffung der Gleichstellungsbeauftragten im EJPD ist die folgerichtige und leider zu erwartende Konsequenz dieses Wandels. Wer so naiv war und glaubte, Christoph Blocher durch die Einbindung zu zähmen und zu bändigen, sieht sich jetzt eines besseren belehrt. Er hat die Tabubrüche salonfähig gemacht, nämlich all das, was in den letzten Jahrzehnten mühsam errungen worden war, wieder in Frage zustellen und rückgängig zu machen. Ich bin überzeugt, dass wir ein Gleichstellungsgesetz, ein Splitting in der AHV und das Anrechnen der Betreuungsgutschriften heute mit diesem Parlament kaum mehr durchbringen würden. Die Uhren in der Schweizer Politik im Parlament in Bern gehen massiv rückwärts und nur dank Referenden konnten wir das Schlimmste in den letzten Jahren verhindern.

Fazit aus dieser Analyse

Ein Kulturwandel von der Dimension der feministischen Utopie ist nicht in einem Vierteljahrhundert zu erreichen. Da es bei diesem Kulturwandel ja auch nicht nur um eine Frage des Bewusstseins, sondern um eine ganz handfeste Umverteilung der Macht geht, sind die Widerstände entsprechend gross. Das habe ich und wahrscheinlich andere Feministinnen auch unterschätzt. Das heisst für mich, weiterhin durch Hartnäckigkeit und öffentliche Debatten das Bewusstsein schärfen. Das heisst aber auch, dass Frauen überall, wo Entscheidungen gefällt und Macht ausgeübt wird, hineingehen und mitmischen müssen. Geschenkt wird uns immer noch nichts!

Frauen gehören nicht nur in alle im Titel erwähnten Häuser, weil es um eine Frage der Gerechtigkeit geht, sondern weil die Erfahrung zeigt, dass Frauen eine ökologischere, sozialere und weniger fremdenfeindliche Politik machen. Die Ratings der politischen Positionen der Parlamentarierinnen und Parlamentarier bestätigen dies durchwegs. Während der Medianpolitiker auf der Links-Rechts-Skala bei +2.1 steht, ist dieser Wert für die Medianpolitikerin -7.

Wir haben unterschätzt, dass das Patriarchat so resistent ist, dass es einen so langen Atem und so viel Schnauf braucht und dass vor allem in Rezessionen die Luft furchtbar dünn werden kann. Aber all das, was von Feministinnen gedacht, analysiert, was diskutiert und geschrieben worden ist, der ganze feministische Diskurs kann nie mehr zurückgenommen werden. Dafür sorgen heute zu viele Frauen an zu vielen Orten! Diese Prozess ist zwar ein langwieriger und die Widerstände sind hartnäckig, aber der Prozess ist irreversibel, auch wenn es Rückschläge gibt wie zur zeit! Und er wird die Welt nachhaltig verändern. Bleiben wir daran!

Zurück