Symposium Lasalle-Institut

| 11. Symposium: «Welche Welt wollen wir? Führungspotenziale von Frau und Mann», Lasalle-Institut

Frauen in der Schweizer Politik – eine Bilanz

Zum 40. Geburtstag des Frauenstimmrechtes wurde ich zusammen mit Brenda Mäder, der Präsidentin der schweizerischen Jungfreisinnigen ins Tagesgespräch des Schweizer Radios eingeladen. Dabei ist mir aufgefallen, wie die Gleichstellung für die junge Politikerin selbstverständlich ist, so selbstverständlich, dass das Thema bei allen ihren Texten auf ihrer Webseite und in ihrem Blog schlicht nicht existiert. Sie betrachtet es als Fortschritt, dass sie die Gleichstellung gar nicht mehr umtreibt, weil in dieser Frage alles erreicht sei und sie sich jetzt mit andern wichtigen Fragen wie den Finanzen beschäftigen könne.

Grosse Selbstverständlichkeit bei jungen Frauen

Diese Selbstverständlichkeit stelle ich bei den jungen Frauen allgemein fest. Das freut mich sehr, stehen doch junge Frauen heute an einem andern gesellschaftlichen Ort als ich damals beim Einstieg in die Politik. Junge Frauen ernten heute von dem, was frauenbewegte Frauen während der letzten 40 Jahre gesät haben, das ist gut so! Meine Generation kämpfte für die Befreiung der Frauen aus Zwängen und Konventionen, wir definierten die Frauen als Ofer des Patriarchats, wir stritten uns darüber, ob Männer am 8. März mit uns an die Frauendemo kommen dürften – sie durften nicht!

Für die jungen Frauen von heute heutige sieht die Welt ganz anders aus: sie kommen in eine Welt, in der dank der Gleichstellungspolitik der der letzten 20 Jahre viel erreicht worden ist. Sie werden mit neuen Herausforderungen konfrontiert: Umwelt, Globalisierung, Bankenkrise. Das Engagement für die Geschlechterfrage hat die junge Generation nicht mehr geprägt, das Gefühl „wir Frauen“ ist nicht mehr da.

Das prägte mich anders als z.B. Brenda Mäder. Für mich war die Zugehörigkeit zu einer Partei weniger wichtig als die Loyalität für die Frauen.

Frauensolidarität über Parteigrenzen hinweg

Es war ein historischer Moment für mich: Im Jahr 2003 konnte ich ans Rednerpult treten und sagen: „Ich spreche nicht im Namen der grünen Fraktion, sondern im Namen aller Frauen dieses Rates. (Unruhe) Da staunen Sie, nicht? Heute geschieht in diesem Haus etwas, was in der gut 30-jährigen Geschichte von uns Frauen in der Schweizer Politik erst zum zweiten Mal passiert: Alle Frauen dieses Parlamentes - ich habe es verifiziert, seien Sie beruhigt, meine Herren -, alle Frauen dieses Parlamentes, ohne eine einzige Ausnahme, stimmen einer Vorlage zu, unabhängig davon, ob sie in der SVP, CVP, FDP, bei den Liberalen, der SP oder den Grünen politisieren. Das gab es bisher erst ein Mal, wie ich von Judith Stamm erfahren habe, und zwar, als das neue Eherecht in die Schlussabstimmung kam. Damals hat unsere ehemalige Ratskollegin Elisabeth Blunschi an diesem Mikrofon sagen können, dass alle Frauen der Vorlage zustimmen. Das kann ich heute zum zweiten Mal tun, denn wir Frauen unterstützen ohne Ausnahme die Einführung des 14-wöchigen Mutterschaftsurlaubes, finanziert aus der Erwerbsersatzkasse, solidarisch getragen von allen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, von solchen mit und solchen ohne Kindern, und von allen Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern, ob sie nun viele, wenige oder gar keine Frauen beschäftigen. Unsere Kolleginnen Jacqueline Fehr, Thérèse Meyer und Ursula Haller haben zusammen mit unseren Kollegen und - das ist in diesem Zusammenhang ja nicht ganz unwichtig - Gewerbeverbandsdirektor Pierre Triponez eine Vorlage ausgearbeitet, von der wir überzeugt sind, dass sie nach den gescheiterten Anläufen der Vergangenheit mehrheitsfähig ist.

Nicht wenige von uns haben natürlich von Träumen von einer besseren Ausgestaltung des Mutterschaftsurlaubs Abschied nehmen müssen. Aber jetzt gilt es, das heute Erreichte zu verteidigen und zu sichern. Deshalb unser Wunsch, dass ein breites Bündnis, bestehend aus den schweizerischen Frauenorganisationen, den Arbeitgeber- und Arbeitnehmerorganisationen und fast allen Parteien den Abstimmungskampf gegen das von der SVP angekündigte Referendum führen wird. Mit dieser ganzen Breite ist der Kampf zu gewinnen. Damit wird ein 53 Jahre altes Versprechen den Frauen gegenüber endlich eingelöst. Ich danke im Namen aller meiner Kolleginnen den Männern hier im Saal und allen Frauen und Männern draussen in der Bevölkerung, die zu diesem guten Gelingen beitragen“.

Das hat es seither nie mehr gegeben. Es sind inzwischen junge Frauen ins Parlament gekommen, die sich viel stärker oder sogar ausschliesslich mit ihrer Partei identifizieren und solidarisieren und nicht mit den Frauen. Sind sie in der SVP, dann distanzieren sie sich explizit von den frauenspezifischen Themen. Die Partei verschafft ihnen rasch einflussreiche Positionen, damit ist sie für Frauen attraktiv. Ein solches Beispiel war Jasmin Hutter, die kaum im Parlament schon Vizepräsidentin der Partei wurde und sich stets gegen die von Frauen erkämpften Errungenschaften wie die Mutterschaftsversicherung oder Kinderzulagen aussprach.

Aber auch junge linke Frauen identifizierten sich mehr mit der Partei als über die Parteigrenzen hinweg mit den Frauen. Das habe ich genau beobachten können, an Hand des Besuchs des Parlamentarierinnen-Treffens, welches ich während 12 Jahren präsidierte. Dieses Amt hatte ich von der begnadeten Frauennetzwerkerin Judith Stamm, CVP-Nationalrätin aus Luzern, geerbt. Sie hatte das Parlamentarierinnen-Treffen Ende der 80er Jahre ins Leben gerufen und in jeder Session ein Treffen für alle Parlamentarierinnen organisiert. Sie übergab mir dieses Amt und ich führte diese Tradition 12 Jahre weiter. Eingeladen waren nebst allen Frauen des Parlamentes auch die Bundesrätinnen, die Bundeskanzlerin, die Frauen des Gleichstellungsbüros und der Frauenkommission, die Frauenbeauftragten der Parteien und einmal pro Jahr traf man sich mit den Präsidentinnen aller Schweizerischer Frauendachverbände. Dabei stand immer ein Thema im Raum, das für Frauen besonders relevant oder wofür Frauen sich besonders engagierten, für die Mutterschaftsversicherung, die Fristenregelung, gegen den Frauenhandel um einige Beispiele zu nennen. Ab und zu koordinierte ich auch mal eine Frauenaktion, ich erinnere mich zum Beispiel, dass ich ein Protestschreiben an den damaligen ägyptischen Präsidenten Anwar El Sadat verfasste und von allen Frauen unterschreiben liess, weil die ägyptische Ärztin und Frauenrechtlerin Nawal El Saadawi ins Gefängnis geworfen worden war. Die Treffen waren ein Muss in der Agenda vieler Frauen, vor allem für solche aus der SP und der Grünen Fraktion und für fortschrittliche Frauen aus der CVP und der FDP. Mit der Zeit verlor das Treffen an Bedeutung und junge Frauen kamen praktisch nie, auch die aus der SP nicht.

Ist mit dem „Bundesrätinnenfrühling“ alles erreicht?

Auch im Zusammenhang mit der Wahl einer Frauenmehrheit in den Bundesrat im Dezember 2010 stellte ich fest, dass in der veröffentlichten Meinung diese Tatsache keine hohen Wellen mehr warf, sie galt als selbstverständlich. Welch ein Wandel! Noch vor 10 Jahren als die Quoteninitiative zur Abstimmung kam, welche eine geschlechtergerechte Verteilung der Regierungs- und Parlamentssitze forderte, scheiterte diese nach einem emotionalen und frauenfeindlich unterfütterten Abstimmungskampf mit einem totalen Fiasko. Nur 28% der Frauen und klägliche 11% der Männer sagten Ja zur gleichberechtigten Einsitznahme von Frauen und Männern in die höchsten politischen Gremien der Schweiz.

Ist also heute mit dem Bundesrätinnenfrühling alles erreicht, sind wir am Ziel unserer Wünsche, nämlich der geschlechtergerechten Teilung der Macht in der Schweiz angelangt? Dieser Frage will ich etwas genauer nachgehen.

Stagnation nach 40 Jahren Fortschritt

Am 23. Oktober hat die Schweiz ein neues Parlament gewählt. Obwohl es ein paar herausragende Erfolge für Frauen gegeben hat, (Pascale Bruderer, Karin Keller-Suter, Nathalie Rickli) darf das nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Frauenvertretung im Nationalrat stagniert: im Nationalrat sassen 60 Frauen, das waren 30 %, jetzt nach den Wahlen sind es nur noch 59. Im Ständerat betrug der Frauenanteil in der letzten Legislatur 21.7 %, im neu gewählten Ständerat sitzen nur noch 8 Frauen, das sind nur noch 17%. Und erst noch vorausgesetzt dass im Waadtland Géraldine Savary in stiller Wahl bestätigt wird und Verena Diener statt Christoph Blocher und Christine Egerszegi statt Ulrich Giezendanner gewählt werden. Sonst wären es gar nur noch 6 Frauen oder 10%, wie 1987!

Während also der Frauenanteil seit 1971 bis 2007 langsam aber stetig auf 30% respektive 21,7% anwuchs, kommt diese Entwicklung jetzt zum ersten Mal zum Stehen. Im Ständerat ist die Frauenvertretung sogar zurückgefallen auf den Stand von 1995. Und auch die Frauenmehrheit im Bundesrat wird eine Episode bleiben, schon zeichnet sich ab, dass nach den Bunderatswahlen im Dezember mindestens eine Freu weniger in diesem Gremium sein wird.

Kein Thema in der Presse war, dass erfahrene und tüchtige Politikerinnen fast um ihre Chancen in Bern zittern mussten, weil junge Männer Anspruch auf den von ihnen angestrebten Sitz in Bern erhoben: im Kanton Graubünden setzte die SP auf den jungen Jon Pult statt auf die erfahrene Silva Semadeni, sie wurde trotzdem gewählt. Und im Tessin musste sich die CVP-Politikerin Monica Duca Widmer gegen ein Neuauszählen der Stimmen wehren, welches vom jungen Parteisekretär Marco Romano gefordert worden war, nachdem der Losentscheid, der wegen Stimmengleichheit nötig geworden war, auf Monica Duca Widmer gefallen war.

Es gibt immer noch 6 Kantone ohne Frauenvertretung in Bern: Obwalden, Nidwalden, Zug, Schaffhausen, Appenzell I.Rh. und Appenzell A.Rh. Hingegen gibt es nur einen Kanton mit nur einer Frau in Bern, es ist Gabi Huber vom Kanton Uri.

Wenn man die Verteilung der Frauen im Nationalrat nach Parteien anschaut, ergibt sich folgendes Bild:

  1. Bisher 50 % Frauen bei den Grünen, neu 6 Frauen oder 40%
  2. Bisher 42% Frauen bei der SP, neu 21 Frauen oder 45%
  3. Bisher 39% Frauen bei der CVP, neu 10 Frauen oder 35%
  4. Bisher 19% Frauen bei der FDP, neu 7 Frauen oder 23%
  5. Bisher 13% Frauen bei der SVP, neu 6 Frauen oder 11%

Bei der GLP sind es 4 oder 32% / bei der BDP 2 oder 22% / bei der EVP 2 oder 100%, bei der Lega 1 oder 50%

Fazit: für den Nationalrat gilt: je linker eine Partei umso mehr Frauen, je rechter eine Partei umso weniger Frauen werden gewählt.

Im Ständerat sieht es etwas anders aus:

  1. Die SP hat 4 Frauen
  2. Die FDP hat 2 Frauen
  3. Die CVP hat 1 Frau
  4. Die GLP hat 1 Frau
  5. Die SVP und die Grünen haben keine Frau im Ständerat

Auf der Kantonalen Ebene sind in den Exekutiven 22%, (gegenüber dem Bundesrat mit 57%), in den Parlamenten 26% (gegenüber dem Nationalrat mit knapp 30%). Je höher die Ebene, umso einfacher scheint es für Frauen zu sein, gewählt zu werden. Ob das in der Zukunft noch so sein wird, ist nicht sicher.

Der lange Weg der Schweizerinnen zu den gleichen Rechten

Die Schweiz ist das letzte Land der Welt, das den Frauen die politischen Rechte gegeben hat, das geschah erst im Jahre 1971. Dann haben die Schweizerinnen relativ rasch viel aufholen müssen. Das war nur möglich dank einem hartnäckigen Kampf engagierter Frauenrechtspolitikerinnen. So erkämpften die Frauen zuerst 1981 einen Verfassungsartikel in der Bundesverfassung, welcher uns gleiche Rechte garantiert. In der Volksabstimmung stimmten 14.6% mehr Frauen als Männer der Vorlage zu.

Dieser Artikel 8 lautet:

1 Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.

2 Niemand darf diskriminiert werden, namentlich nicht wegen der Herkunft, der Rasse, des Geschlechts, des Alters, der Sprache, der sozialen Stellung, der Lebensform, der religiösen, weltanschaulichen oder politischen Überzeugung oder wegen einer körperlichen, geistigen oder psychischen Behinderung.

3 Mann und Frau sind gleichberechtigt. Das Gesetz sorgt für ihre rechtliche und tatsächliche Gleichstellung, vor allem in Familie, Ausbildung und Arbeit. Mann und Frau haben Anspruch auf gleichen Lohn für gleichwertige Arbeit.

Dieses Gesetz, das Gleichstellungsgesetz GIG wurde dann an die Hand genommen und es dauerte bis 1996, bis es in Kraft gesetzt werden konnte. Es ist ein wichtiges Instrument zur Förderung der tatsächlichen Gleichstellung von Frau und Mann. Das GlG gilt für alle Bereiche des Erwerbslebens, von der Anstellung über die Weiterbildung bis zur Kündigung, vom Lohn bis zur sexuellen Belästigung am Arbeitsplatz. Verboten sind sowohl direkte wie indirekte Diskriminierungen. Das GlG sieht » Finanzhilfen für wegweisende Projekte und Beratungsstellen zur Förderung der Gleichstellung im Erwerbsleben vor. Im GlG sind auch die Aufgaben des Eidg. Büros für die Gleichstellung von Frau und Mann definiert.

Lohnungleichheit nach wie vor gravierend

Es hat seither zahlreichen Frauen ermöglicht, vor Gericht zu ihrem Recht zu kommen. Aber insgesamt ist die Lohndiskriminierung nur wenig zurückgegangen. In der Privatwirtschaft verdienen die 1,1 Millionen dort tätigen Frauen im Durchschnitt 24% weniger als die Männer, in der öffentlichen Verwaltung ist der Unterschied geringer. Die Lohndifferenz ist in den letzten Jahren nur um 0.5% zurückgegangen. Rund 60% der Lohndifferenz beruhen auf erklärbaren Faktoren wie Teilzeitarbeit, unterbrochene Karrieren, aber 40% verdienen sie weniger, weil sie Frauen sind. Das heisst für Frauen, jeden Monat durchschnittlich 700 Franken weniger im Portemonnaie zu haben. (Studie des EBG „Auf dem Weg zur Lohngleichheit“ aus dem Jahr 2006).

Und wo sind all die Frauen in den Kaderstellen, den Verwaltungsräten, an den Verbandsspitzen?

Die Jährlich vom WEF publizierte Gender-Studie kommt zum Schluss, dass es in der Schweizer Arbeitswelt für Frauen nicht zum Besten steht. Beim Messen des „Global Gender Gap“ schneidet die Schweiz vor allem was die Stellung der Frauen in der Arbeitswelt angeht, nicht besonders gut ab. Von 135 Staaten rangiert sie nur auf dem Platz 80 was die Lohngleichheit anbelangt und auf Rang 58 was Frauen in Kaderfunktion der Wirtschaft anbelangt. Besser weg kommt die Schweiz in dieser Studie was die Stellung der Frauen in der Politik betrifft, da rangiert sie auf Platz 24 der 135 untersuchten Staaten, was auch mit der Frauenmehrheit im Bundesrat zu erklären ist.

Ich interpretiere den Umstand, dass es für Frauen einfacher ist in der Politik Karriere zu machen als in der Wirtschaft so, dass die Politik an Bedeutung verloren hat und die Wirtschaft immer mehr das Primat über die Politik errungen hat. Deshalb ist die Politik für Männer weniger wichtig geworden und für die Frauen einfacher, ein politisches Mandat zu erhalten. In der Wirtschaft aber, dort wo es wirklich um die „Wurst“ geht, wo Geld, Macht und Einfluss zusammenkommen, wo wirklich über Sein oder Nichtsein entschieden wird, da sind die Männer immer noch fast unter sich und die Frauen haben keinen relevanten Einfluss.

Quotendiskussion in der Wirtschaft neu entfacht

Kein Wunder, dass die Diskussion um die Quote wieder aufflammt, und zwar wegen den absolut desolaten Zuständen in der Wirtschaft. Ernüchtert stellen Frauen nämlich fest, dass sie in der Politik inzwischen zwar ein Viertel bis ein Drittel der Plätze erkämpft haben, dass aber in den entscheidenden Etagen der Wirtschaft die Männer praktisch unter sich sind. Die Quote ist und bleibt aber ein effizientes und wirksames Mittel zur Erreichung dieses Ziels. Das machen die Länder vor, die die Quoten eingeführt haben.

Die Süddeutsche Zeitung schreibt im Juni 2010: “Frauenquote – gerade als man meinte, der Begriff sei ein Fall für die Mottenkiste, taucht er wieder auf. Ganz oben in den Schlagzeilen der Wirtschaftsblätter. Bei der an diesem Mittwoch beginnenden Konferenz der Regierungskommission Corporate Governance Kodex – die Leitlinien für gute Unternehmensführung ausarbeitet – wird die Frauenquote eines der Kernthemen sein. Nicht etwa, weil Bundesfamilienministerin » Kristina Schröder (CDU) soeben ein Gesetz ins Gespräch gebracht hat, das Unternehmen zwingen soll, eine individuelle Frauenquote einzuführen. Nein, die Mitglieder der Kommission haben das Thema von selbst auf die Agenda gesetzt. Sie wollen in ihrem Kodex künftig empfehlen, dass jeder » Aufsichtsrat konkrete Ziele benennt, wie er den Frauenanteil in seinen Reihen erhöhen möchte. Die Wirtschaft läuft Sturm dagegen. Bei der Besetzung von Posten müsse allein die Qualität des Kandidaten entscheiden, nicht sein Geschlecht, so die Kritik. Doch wer so argumentiert, hat sich entweder mit dem Thema noch nicht ernsthaft befasst. Oder: Er ist von gestern. Es sind nicht etwa Gutmenschen, die eine Frauenquote fordern. Vielmehr sprechen handfeste wirtschaftliche Gründe dafür. Einen hat Telekom-Chef » René Obermann genannt, als er im März überraschend ankündigte, bis 2015 jede dritte Führungsposition in dem Dax-Konzern mit einer Frau besetzen zu wollen. » Unternehmen mit einem höheren Frauenanteil erzielen ein signifikant besseres Ergebnis und eine höhere Rentabilität. Das haben Studien ergeben“.

Frauen gehören ins Haus, ins Rathaus, ins Bundeshaus

Die Autorenschaft des Satzes „Frauen gehören ins Haus, ins Rathaus, ins Bundeshaus“ wird oft der inzwischen verstorbenen Luzerner CVP-Ständerätin Josi Meier zugeschrieben. Richtig aber ist, dass ihn Karin Willimann, damals eine junge Luzerner Grafikerin, für das überparteiliche Komitee für mehr Frauen in die Behörden kreiert hat. Es war also nicht Josi Meier, aber diese hat ihn wirksam verbreitet und schweizweit bekannt gemacht, erstmals in der Frauensession 1991. Sie tat dies in folgendem Kontext: „Vor 20 Jahren wollte man uns zurückhalten mit dem Slogan “Die Frau gehört ins Haus“. Wir brauchten Jahre bis wir diesen Satz verstanden haben. Jetzt haben wir ihn verinnerlicht, mit Hilfe der jungen Generation. Natürlich gehören wir ins Haus: ins Gemeindehaus, ins Bundeshaus“

Frauen gehören nicht nur in alle Häuser, weil es um eine Frage der Gerechtigkeit geht, sondern weil die Erfahrung zeigt, dass Frauen eine ökologischere, sozialere und weniger fremdenfeindliche Politik machen. Die Ratings der politischen Positionen der Parlamentarierinnen und Parlamentarier bestätigen dies durchwegs. Während der Medianpolitiker im Jahr 2002 auf der Links-Rechts-Skala bei +2.1 steht, war dieser Wert für die Medianpolitikerin -7. Leider konnte ich keine neueren diesbezüglichen Zahlen erhalten. Ich habe 2004, als das Rating wieder veröffentlicht wurde, nachgefragt, aber eine Genderanalyse wurde nicht mehr gemacht. Aber da immer noch die Mehrheit der Frauen in linken Parteien sind und die Frauen tendenziell eher linker stimmen, würde das Ergebnis heute wohl nicht ganz anders aussehen.

Ein jüngstes Beispiel bestätigt diesen Trend: bei der Abstimmung über das Verbot der Streubomben in der Sicherheitspoltischen Kommission des Nationalrates haben alle Frauen, unabhängig von ihrer Parteizugehörigkeit Ja zum Verbot gesagt oder sich mindestens enthalten, während die Männer aller bürgerlichen Parteien gegen ein Verbot gestimmt haben. Sie argumentierten, dass Streumunition wichtig sei, um die Sicherheit der Bevölkerung zu garantieren. Die Absurdität dieses Argumentes wurde ganz offensichtlich von den Frauen begriffen. Sie wissen, dass diese weltweit geächtete Waffe unendliches Leid über die Zivilbevölkerung gebracht und ganze Landstriche unbewohnbar gemacht hat.

Dass Frauen sich politisch fortschrittlicher verhalten, bestätigen sämtliche VOX-Analysen, die nach Abstimmungen jeweils gemacht werden. Auch im Abstimmungsverhalten gibt es den sogenannten Gender Gap, den Geschlechtergraben. Seit der Mitte der 80er Jahre stimmen Frauen durchschnittlich ökologischer, weltoffener und sozialer. So haben die Frauen der Atom-Moratorium-Initiative im Jahr 1990 und der Alpen-Initiative im Jahr 1993 zur Mehrheit verholfen, das gleiche gilt für die Antirassismus-Strafnorm im Jahr 1995. Der Trend setzt sich bis in die heutige Zeit fort. Bei der Abstimmung für ein Verbot von Kriegsmaterial im Jahre 2009 stimmten die Frauen mit 7% mehr als die Männer dafür, bei der Abschaffung des Verbandsbeschwerderechtes 2008 waren der Unterschied 13%, bei der Revision der Invalidenversicherung im Jahre 2007 10% und bei der Revision des Asylgesetzes im Jahr 2006 10%.

Darum gehören Frauen ins Haus, nicht weil sie bessere Menschen sind, sondern weil sie auf Grund anderer Erfahrungen Sachverhalte anders beurteilen und gewichten und damit dazu beitragen, dass die Politik zu gesamtheitlicheren und ausgewogeneren Entscheiden kommt!

Die Politik tut sich immer noch schwer mit Frauen in der Politik

Wenn wir die Wahlen der Schweizer Bundesrätinnen betrachten, stellen wir fest, dass es bei ihnen häufig aufgeregte Wahlen und Abwahlen gab. Bei den Bundesratswahlen im Jahr 2003 habe ich das wie folgt beschrieben: „Ich möchte im Namen der grünen Fraktion - und ich denke, im Namen vieler Frauen hier drin und draussen - meinem Befremden darüber Ausdruck geben, wie mit den Frauen im Bundesrat umgesprungen wird, in den dreissig Jahren, seit es Frauen in der Politik gibt. Wir haben bis jetzt vier Bundesrätinnen gehabt; bei drei von ihnen hat es Dramen abgesetzt. Die erste Bundesrätin, Elisabeth Kopp, wurde für ein Vergehen aus dem Amt geschickt, von dem ich überzeugt bin, dass es keinem Mann den Sitz gekostet hätte. Die zweite Frau, Ruth Dreifuss wurde nur dank dem massiven Protest von Tausenden von Frauen, auch hier vor diesem Haus, gewählt. Die dritte Frau, Ruth Metzler, wurde von Ihnen, den rechten Männern, vor fünf Jahren gewählt und ist jetzt aus dem Amt geschickt worden, ohne dass ihr irgendwie gravierende Fehler vorgeworfen werden konnten. Micheline Calmy-Rey ist bis jetzt die Ausnahme, die die Regel bestätigt. Jetzt kommen wir zum letzten Wahlgang. Es steht eine Kandidatin, Christine Beerli, zur Wahl. Wenn wir den Frauen in der Schweiz das Zeichen geben wollen, dass das politische Parkett für Frauen nicht einfach gefährlich ist und dass es besser ist, wenn Frauen sich nicht darauf begeben, dann haben wir jetzt noch eine letzte Chance, indem wir in der letzten Runde doch noch eine Frau in den Bundesrat wählen. Ich bitte Sie eindringlich, das zu tun. Es ist ein wichtiges Zeichen für die Frauen, damit sie nicht das Gefühl haben, auf dieses heikle, rutschige Parkett Politik begeben sie sich schon besser gar nicht." Christine Beerli wurde nicht gewählt, dafür Hans-Rudolf Merz.

Und was mit Evelyne Widmer-Schlumpf passiert, hat Züge einer Hexenjagd. Seit sie den Sitz des Königs einzunehmen gewagt hat, wird sie auf übelste Art und Weise angegriffen. Die Anfeindungen ihr gegenüber gingen so weit, dass es eine von Frauen organisierte Demonstration für sie gab, an der Tausende von Frauen bei strömendem Regen auf den Bundesplatz kamen. Ich selber hielt dort eine Rede für sie, die ich mit den Worten begann: „Ist es Ihnen in den letzten Tagen und Woche auch so ergangen, dass Sie sich oft die Augen reiben und sich fragen mussten, ob denn das alles nicht nur ein böser Traum sei, aus dem Sie bald erwachen würden? Da wird vor den Augen der Öffentlichkeit eine demokratisch gewählte Bundesrätin einer Hetzjagd ausgesetzt, die in der Schweizer Geschichte ihresgleichen sucht! Die SVP ist ja berüchtigt für ihre grobschlächtigen Methoden. Aber mit den rüden Attacken auf Bundesrätin Evelyne Widmer-Schlumpf hat sie noch eins drauf gegeben und die Waffen der Diffamierung, der Verhöhnung und der Verunglimpfung unliebsamer Personen noch einmal zugespitzt. Wohl kein Zufall dass die angefeindete Person eine Frau ist!“ Die SVP legt inzwischen ein Verhalten an den Tag, wie wir es bisher nur aus totalitären Regimes aus Geschichte und Gegenwart kennen. Das ist so ungeheuerlich und darf nicht ohne kraftvollen Widerstand hingenommen werden. Deshalb bin ich zusammen mit Ihnen allen heute hier her kommen, um dem Zorn und der Empörung über diese Entwicklung Ausdruck zu geben. Das hätte ich mir ja nie träumen lassen, dass ich einmal für eine SVP-Bundesrätin auf die Strasse gehen muss, bin ich doch bekannt dafür, dass ich die Politik der SVP immer scharf kritisiert habe. Wenn aber vor unseren Augen eine demokratisch gewählte Bundesrätin öffentlich als Lügnerin, Verräterin, Meuchelmörderin beschimpft wird, dann muss ich als Demokratin einfach etwas dagegen tun!“

Vielleicht wird es noch einmal nötig, dass wir Frauen für sie auf die Strasse gehen, denn die Anfeindungen nehmen im Hinblick auf die Wahlen im Dezember wieder massiv zu.

Bis jetzt sind also nur Micheline Calmy-Rey, Doris Leuthard und Simonetta Sommaruga ohne nennenswerte Nebengeräusch in den Bundesrat gewählt worden. Das ist gerade mal die Hälfte aller in den Bundesrat gewählten Frauen!

Einen traurigen Rekord haben die Frauen in der Politik auch was Abwahlen betrifft: In den Jahren 1987 bis 2007, in fünf Legislaturperioden sind von 96 Regierungsrätinnen 9 abgewählt worden, das sind 9.4 Prozent. Demgegenüber sind von 724 Regierungsräten deren 20 abgewählt worden, das sind 2.8 Prozent.

Auch wenn offener Sexismus in den Medien seltener geworden ist, scheint doch nicht weinigen Medienschaffenden nach wie vor die Gendersensibilität zu fehlen: Frauen, die Hälfte der Schweizer Bevölkerung, machen einen Fünftel der in den Schweizer Medien dargestellten Personen aus. Bei den Politikerinnen sieht es nicht besser aus: Frauen sind in der kantonalen und nationalen Politik mit 26 Prozent schon untervertreten, die Präsenz von Politikerinnen in den Medien ist aber mit 22 Prozent noch tiefer. Und wenn über Politikerinnen geschrieben wird, sind Beschreibungen von Aussehen, Familie und angeblich weiblichen Eigenschaften nach wie vor an der Tagesordnung. Stereotype Darstellungen von Politikerinnen in den Medien halten sich hartnäckig.

So schrieb ein unverfrorener Markus Somm in der BAZ von den “Blinden“. Er meinte damit die Bundesrätinnen und schrieb, die vier Frauen im Bundesrat hätten den Entscheid zum Atomausstieg “einsam und mit fast esoterischer Selbstsicherheit“ gefällt und das sei einer „normalen“ Regierung unwürdig.

Durchzogene Bilanz

Nach 30 Jahren Gleichstellungsartikel in der Bundesverfassung sind die rechtlichen Ungleichbehandlungen praktisch beseitigt, aber bei den faktischen Ungleichheiten liegt noch vieles im Argen. Das Trügerische ist aber, dass man das nicht mehr so einfach sieht. Vordergründig scheint die Welt in Ordnung. Jungen Frauen stehen heute alle Möglichkeiten offen. Und sie nutzen sie! Es gibt heute mehr weibliche als männliche Studierende an Schweizer Hochschulen. Die Frauen haben enorm aufgeholt. Wenn sie es trotz all dieser vielen Möglichkeiten nicht schaffen, Beruf und Familie unter einen Hut zu bringen, dann suchen sie den Fehler eher bei sich selber als sich kollektiv für bessere Bedingungen zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu engagieren.

Die Individualisierung der Gesellschaft prägt die Frauen heute anders. Ich zitiere hier Jannine Pilloud, die neue Chefin Personenverkehr der SBB und erste Frau im obersten Gremium der SBB: “Ich bin eigentlich keine Feministin. Denn ich bin wahrscheinlich zu spät geboren, als dass ich noch hätte eine Feministin werden können. Die Art, wie ich Menschen fördere und namentlich auch versuche, Frauen zu beraten und zu unterstützen, hat nicht mit Feminismus zu tun. Ich habe mich nie mit feministischen Gedanken auseinandergesetzt. Aber ich bin eben auch nie von einem „Fair/Unfair-Modell“ ausgegangen. Was ich dem Feminismus ein bisschen zum Vorwurf mache, ist, dass man eigentlich immer nur Fehler gesucht hat. Ich behaupte es gibt keine Fehler, sondern es gibt nur eine Gesellschaft, die sich ständig verändert und man muss lernen, mit dieser Gesellschaft mitzugehen und diese Veränderungen aktiv mitzugestalten. Das kann man nicht tun, indem man andern die Schuld gibt, was einem persönlich passiert, sondern nur indem man selber auch die Initiative ergreift.“ Sie drückt damit aus, dass sie quasi die Gnade der späten Geburt vor dem Feminismus verschont habe und deutet das Problem zu einer persönlichen Schuldfrage um. Den Feministinnen wirft sie vor, dass sie immer nur Fehler gesucht hätten und reduziert damit die Frauenbewegung, die mit der Forderung nach geschlechtergerechter Teilung der Macht eine grosse gesellschaftspolitische Sprengkraft hat, auf eine Art Neidgrüppli, welches kleinmütig auf Fehlersuche bei den Männern war und ist. Verwundert stelle ich fest, dass bei Jannine Pilloud kein Bewusstsein dafür vorhanden ist, dass für die Frauen nichts auf eigenen Füssen daher gekommen ist, sondern jeder Fortschritt hart errungen werden musste. Und zwar gemeinsam, als Bewegung, nicht als Einzelkämpferinnen ! Ich wage die Behauptung, dass Jannine Pilloud nicht an die SBB-Spitze gewählt worden wäre, wenn nicht dank der Feministin und SBB-Verwaltungsrätin Christiane Brunner der SBB ein Gender-Management verpasst worden wäre, welches verlangt, dass aktiv Frauen für Kaderpositionen gesucht werden müssen.

Der Feminsimus als verbiestert und lustfeindlich schimmert auch in der Aussage der Generalsekretärin der FDP-Frauen, Claudien Essevia durch, als sie im Juli dieses Jahres im „20 Minuten“ ihren „Oben-ohne-Auftritt“ mit den folgenden Worten kommentierte: „Wir wollen weg vom feministischen Mief hin zu einer fortschrittlichen Politik, die auch einmal lustvoll sein darf.“

Es gibt glücklicherweise auch junge Frauen, die zu andern Einsichten gelangen. Die Journalistin Michèle Rothen hat ein Buch darüber geschrieben, was es bedeutet, heute eine Frau zu sein. „Wir, nur ein paar Jahre nach den Entscheid geboren, dass Frauen auch abstimmen dürfen, finden: Feminismus, wäh!“ Sie beschreibt dann wie sie langsam gemerkt hat, dass es doch kein Zufall ist, dass ihr gewisse Dinge im Leben immer wieder passieren, sondern dass das damit zu tun hat, dass sie eine Frau ist. „Kurz: Ich begann mir Sorgen zu machen um die jungen Frauen heute. Denn während wir zwar machten, was wir wollten, aber die Alice Schwarzer als normative Stimme wenigstens als Klingeln im Ohr hatten, machen sie was sie wollen und da klingelt gar nichts mehr. Denn das wäre ja an uns. Und wir interessieren uns nicht mehr für Feminismus, weil wir finden, das mache uns unsexy. Wie war nochmal die Frage? Ob wir Feminismus noch brauchen heutzutage. Ja, ich glaube schon.“

Dass mich diese Einsicht freut, können Sie sich sicher vorstellen. Der Wandel von einer patriarchalischen Welt hin zu einer Welt mit Geschlechtergerechtigkeit ist nicht in einer Generation zu erreichen. Da es bei diesem Wandel ja auch nicht nur um eine Frage des Bewusstseins, sondern um eine ganz handfeste Umverteilung der Macht geht, sind die Widerstände entsprechend gross. Das heisst, weiterhin durch Hartnäckigkeit und öffentliche Debatten das Bewusstsein schärfen. Das heisst aber auch, dass Frauen überall, wo Entscheidungen gefällt und Macht ausgeübt wird, hineingehen und sich einmischen müssen.

Und für mich heisst es, mit jungen Frauen im Gespräch zu bleiben, ihnen von unserer Geschichte auf dem steinigen Weg zur Mündigkeit zu erzählen. Es ist unglaublich, wie die Emanzipationsgeschichte der Schweizerinnen in der schnelllebigen Zeit in Vergessenheit zu geraten droht. Und wie viele negative Clichés über diese Bewegung existieren! Ich wünsche mir, dass all das, was von engagierten Frauen gedacht, analysiert, diskutiert und geschrieben und errungen worden ist, nicht in Vergessenheit gerät. Meine Generation will keine Dankbarkeit für diese Leistung, aber Anerkennung, dass sie wichtig war. Und wenn die plumpen Clichés von den frustrierten Emanzen nicht immer wieder bemüht würden und wenn es junge Frauen nicht mehr nötig hätten, sich von engagierten Vorkämpferinnen für die Frauenrechte distanzieren zu müssen, wäre das wunderbar! Es würde uns stärker machen. Schön wäre es, wenn all die Männer und Frauen, die eine geschlechtergerechte Welt wollen, das auch ab und zu wieder laut und deutlich sagen würden!

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