Laudatio für Anni Lanz

Laudatio für die Preisträgerin Anni Lanz

Verleihung des Nanny und Erich Fischhof-Preises am 25. Oktober 2007

Der Nanny und Erich Fischhofpreis wird dieses Jahr an Frau Dr. h.c. Anni Lanz verliehen. Damit würdigen und anerkennen die Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus und die Gesellschaft Minderheiten in der Schweiz den jahrzehntelangen selbstlosen Einsatz für benachteiligte Menschen und den Kampf von Anni Lanz für Menschenrechte und gegen die Verschärfungen der Asyl- und Ausländergesetzgebung und sie danken der Preisträgerin für ihre Zivilcourage, durch die sie im Konfliktfall die Mitmenschlichkeit vor den Buchstaben des Gesetzes stellt.

Graue Eminenz der Asylbewegung

Ich weiss nicht mehr, wann genau mir der Name Anni Lanz zum ersten Mal begegnet ist, ich weiss aber, wenn ich zurückschaue auf die Zeit meines politischen Engagements, dass sich unsere Wege immer wieder gekreuzt haben und dass Anni Lanz für mich in all den Jahren des Engagements gegen die Verschärfungen im Asyl- und Ausländerrecht eine der absolut konstantesten Figuren des Widerstand gegen diese Entwicklungen war und immer noch ist. Sie war nie die Galionsfigur dieser Bewegung, aber sie war deren Graue Eminenz. «Anni ist Orientierungspunkt und Meinungsautorität in der Flüchtlings- und Migrationsthematik geworden – gerade weil sie immer wieder die Betroffenen zu Wort kommen liess», sagt Balthasar Glättli, ihr Nachfolger bei Solidarité sans frontières und die WOZ nannte sie im Zusammenhang mit ihrem langjährigen Engagement für Flüchtlinge einmal «Autorität und Gewissen einer schrumpfenden Bewegung».

Anni Lanz ist für mich in dieser Konstanz und Hartnäckigkeit eine Ausnahmeerscheinung. Ihr konsequentes Einstehen für die Schwächsten in unserer Gesellschaft, für Sans-papiers und für Flüchtlinge, ist in meiner Generation fast einmalig. Das Einmalige daran ist, dass sie das ohne Amt und Würde eines politischen Mandates tat, ein solches hat sie nie innegehabt. Sie tat es auch zu einem grossen Teil unbezahlt oder in bescheiden entlöhnter Anstellung. Sie hat nie gegen aussen aufscheinende leitende Funktionen bekleidet, war aber in all den Organisationen, in denen sie sich betätigt hat, eine Autorität, gerade weil sie so konsequent, so hartnäckig, so unermüdlich dran blieb. Sie blieb ihren Themen auch dann treu, wenn diese etwas von der Agenda der grossen und aufgeregten Öffentlichkeit verschwanden und sie kumuliert heute ein Wissen und eine Erfahrung, die einmalig sind. Das Wirken im Hintergrund, an der Basis, das Nicht-ins-Rampenlicht-stehen-wollen ist ein Markenzeichen von Anni Lanz. Ihr fehlt ganz offensichtlich das Quantum Narzissmus, über das viele in der Öffentlichkeit und in der Politik engagierte Menschen oft in einem Übermass verfügen. Damit ist sie in der heutigen Zeit eine Art Antifigur. Ein Polit-Kommunikationscoach würde Anni Lanz wahrscheinlich raten, weniger bescheiden aufzutreten und sich in der Öffentlichkeit besser zu verkaufen!

Die Würde des Menschen ist unteilbar

Ihr Einsatz für Menschen am Rand der Gesellschaft, für Schwächere und für die Frauen tat sie aus keinem andern Grund als aus Respekt und Achtung vor der Würde eines jeden Menschen, die für sie unantastbar ist, woher auch jemand kommt und welchen sozialen Standes auch jemand ist. Menschen, die solches tun wie Anni Lanz, werden heute despektierlich als Gutmenschen bezeichnet. Aber Anni Lanz hat keine Mühe mit diesem Label, weiss sie doch, dass die Essenz einer lebenswerten Gesellschaft gerade die „gutmenschlichen“ Werte wie Solidarität und Gerechtigkeit sind, die sie vertritt.

In einem FriZ-Interview im Jahr 1998 wurde sie gefragt, ob sie nicht manchmal resignieren möchte, etwas anderes tun möchte? Ihre Antwort darauf: "Ich habe keine Alternative. Ich muss mich für meine Ziele einsetzen. Wenn ich aufhören würde mich zu engagieren, dann würde ich wohl eingehen." Im Buch „Die Fremdmacher“, das sie letztes Jahr zusammen mit Manfred Züfle zum 20-jährigen Jubiläum von Solidarité sans frontières geschrieben hat, sagt sie, dass es ihr bei ihrem Engagement auch um ihre Lebensessenz gehe. Für Anni Lanz ist das Sich-wehren gegen Unmenschlichkeit eine Quelle der Energie, aus der sie die Kraft schöpft, um sich nicht durch die unheimliche Destruktivität von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit lähmen und krank machen zu lassen.

Anni Lanz hat keine Angst, als Gutmensch belächelt zu werden, weil sie weiss, dass das Gegenteil von Gutmensch gar nicht geht, dass schlechte Menschen in der Geschichte und Gegenwart – in Burma zum Beispiel - immer wieder beweisen, dass sie die Zivilisation an den Rand des Abgrunds führen. Sich für die Menschrechte einzusetzen hat für Anni Lanz nichts mit Kitsch oder romantischer Naivität zu tun, sie hat ganz einfach aus der Geschichte gelernt und weiss wohin es führt, wenn Menschen verunglimpft, ausgegrenzt, fertig gemacht werden! Dagegen wehrt sie sich und das seit über 20 Jahren.

Biografisches von Anni Lanz

Ich möchte einen kurzen Blick auf ihren Werdegang werfen, um sie Ihnen etwas näher zu bringen. Da Anni Lanz ja, wie bereits gesagt, nie das Rampenlicht gesucht hat, ist sie vielleicht nicht allen von Ihnen so bekannt.

Sie absolvierte nach dem Mädchengymnasium eine Ausbildung an der Kunstgewerbeschule und entschloss sich nach verschiedenen Tätigkeiten 1971 für ein Soziologiestudium. Nach dem Lizentiat an der Universität Zürich erwarb sie noch das Basler Wirtepatent, um mit andern zusammen im Jahre 1979 den Selbstverwaltungsbetrieb und die Beizengenossenschaft Hirscheneck in Basel zu gründen. Später kam der Aufbau des Gastwirtschaftsbetriebs in der Kulturwerkstatt Kaserne und des Kultur- und Quartierprojektes «Alte Stadtgärtnerei» dazu.

Seit Mitte der 80er Jahre engagiert sich Anni Lanz in der Asylbewegung und in der Frauenbewegung, sie baute das Selbsthilfeprojekt Manolya für türkische und kurdische Frauen auf, beherbergte immer wieder abgewiesene Asylsuchende und arbeitete beim Frauenrat für Aussenpolitik mit. Die Arbeit mit dem Asylrecht öffnete ihr die Augen für die Bedeutung der Menschenrechte. Zusammen mit engagierten Migrantinnen gelang es Anni Lanz, Brücken zwischen der Asyl- und Migrationsbewegung sowie der Frauenbewegung zu schlagen. Sie nahm an der vierten Weltfrauenkonferenz in Beijing teil und koordinierte anschliessend die ehrenamtlichen Folgearbeiten in der Postbeijing-Koordination der NGOs. Gemeinsam mit dem Forum gegen Rassismus und dem Verein für Menschenrechte Schweiz erstellte Anni Lanz mehrere NGO-Berichte für das UNO-Berichtsverfahren zu den von der Schweiz ratifizierten Menschenrechtskonventionen.

Im Jahr 2003 stand in einem WOZ-Porträit: «Mit der Arbeit in der Frauenbewegung, den Genossenschaftsaktivitäten und ihren Beizen hatte sich Anni Lanz Anfang der achtziger Jahre endgültig von den Vorstellungen eines bürgerlichen Lebens verabschiedet – und damit auch von der Lebensweise ihrer Eltern. Doch ein Bruch mit dem Elternhaus ist nicht erfolgt. Im Gegenteil: Die Mutter – die politisch nie aktiv war – fand gut, was Anni Lanz machte. Der Vater – bürgerlich-liberal ausgerichtet und zeit seines Lebens Deutsch- und Geschichtslehrer – korrigierte alle Texte und Flugblätter, die seine jüngste Tochter verfasst hatte. «Er las meine ultrafeministischen Aufrufe, redigierte sie – und machte dabei meine ganze politische Entwicklung mit», erzählt sie.»

Lobbyistin für die Menschenrechte

An eine Begegnung mit Anni Lanz in ihrer Funktion als Frauenrechtsaktivistin erinnere ich mich ganz konkret: während vieler Jahre organisierte ich in jeder Session ein überparteiliches Treffen für die Parlamentarierinnen und einmal lud ich Anni Lanz ein, den Parlamentarierinnen über die Weltfrauenkonferenz zu berichten und zu formulieren, welche Aufgabe die Schweiz nach Beijing nun konkret habe.

Später traf ich sie in ihrer Funktion als politische Sekretärin bei Solidarité sans frontières wieder. Sie selber bezeichnet ihre Strategie in der Migrationspolitik als Ganzes mit zwei Standbeinen: «Ich mache immer zwei Sachen gleichzeitig: einerseits politische Arbeit, andererseits vertrete ich die Rechte von einzelnen Betroffenen. Nur eines von beidem zu tun, das würde mich zermürben.» Sie kam als Lobbyistin ins Bundeshaus und organisierte parteiübergreifend den Widerstand gegen die sich Schlag auf Schlag folgenden Verschärfungen im Asylgesetz. Sie tat das mit der ihr eigenen Bescheidenheit und persönlichen Überzeugung und Beharrlichkeit und grenzte sich damit wohltuend von der Kaste der Lobbyisten ab, die gut gebrieft und gut bezahlt in der Wandelhalle des Bundeshauses ihr Geschäft betreiben, viele davon für wechselnde Auftraggeber und wechselnde Anliegen und ohne persönlichen Bezug zum zu verkaufenden «Produkt». Das war bei Anni Lanz ganz anders, sie sprach mit den Leuten über ihre konkreten Erfahrungen mit Flüchtlingen, sie war die Praktikerin, während ich mir im Bundeshaus oft als Theoretikerin vorkam, aber schliesslich brauchte es beides: sie lieferte die konkrete Anschauung was mit den Menschen geschieht, wenn die Gesetzesmaschinerie sie immer mehr ausgrenzt und in die Illegalität abdrängt.

Als sie Im Jahre 2004 die Ehrendoktorwürde der juristischen Fakultät der Universität Basel erhielt, war es genau diese Doppelfunktion die als Begründung für diese Auszeichnung in den Vordergrund gestellt wurde: «Ihre berufliche und ehrenamtliche Tätigkeit zeichnet sich dadurch aus, dass Frau Lanz das Recht konsequent in den Dienst an realen Menschen stellt und neben ihrer Lobby- und Kampagnentätigkeit jederzeit auch konkrete Hilfe leistet, insbesondere unter Einbezug der Betroffenen selbst. Mit Anni Lanz wird eine Vertreterin der Zivilgesellschaft gewürdigt, die einen fachlich fundierten, menschlichen und tatkräftigen Beitrag zur Verbesserung der fairen Rechtsanwendung und Rechtsentwicklung und zur Wirksamkeit der internationalen Menschenrechtsgarantien in der Schweiz leistet.»

Anni Lanz in der Tradition der FluchthelferInnen

Anni Lanz ist eine zeitgenössiche Fluchthelferin, eine, die sich sehr gut in die Ahnenreihe ihrer Vorgängerinnen und Vorgänger einreiht. Ich bin froh, dass sie heute für ihr grosses und mutiges Engagement den Fischhof-Preis erhält. Sie steht mit ihrem Engagement ganz in der Tradition all derer, die sich für die Flüchtlinge eingesetzt haben wie zum Beispiel Gertrud Kurz und Paul Grüninger, welche sich mit Wort und Tat zur Zeit des Zweiten Weltkrieges gegen die offizielle Flüchtlingspolitik der Schweiz zur Wehr gesetzt haben und damit als Zeitgenossen der Stifterin Frau Nanny Fischhof-Barth ganz in deren Sinne gehandelt haben.

Ich bin sicher, dass Frau Fischhof-Barth Freude hätte an der heutigen Preisträgerin, weil sie wollte, dass mit dem Fischhof-Preis Persönlichkeiten ausgezeichnet werden, die in vorbildlicher Weise ihre Stimme gegen Rassismus, Antisemitismus und jegliche Form von Diskriminierung erheben.

Liebe Anni, diese vorbildliche Rolle spielst du für mich seit Jahren und ich hoffe, dass dank der Preisverleihung dein Name und dein Tun in weiteren Kreisen bekannt werden und dass damit deine Vorbildfunktion weitere Kreise ziehe und hoffentlich auch andere animiere, es dir gleichzutun.

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