Kinderrechtskonvention auch für Sans-Papier

| Rede zur Vernissage „Kein Kind ist illegal“, Heiliggeistkirche Bern

Kein Kind ist illegal – warum tut sich die Schweiz so schwer damit?

Bevor ich die Frage zu beantworten versuche, warum sich die Schweiz mit den Sans-papiers so schwer tue, möchte ich doch meiner grossen Freude darüber Ausdruck geben, dass reale Hoffnung besteht, dass im Parlament endlich ein Schritt vorwärts gemacht wird. Die Motion des CVP-Nationalrates Luc Barthassat mit dem Titel „Jugendlichen ohne gesetzlichen Status eine Berufslehre ermöglichen“ und die Motion mit dem Titel „Einhaltung der Kinderrechtskonvention bei Kindern ohne Rechtsstatus“ des Grünen Nationalrates Antonio Hodgers sind nämlich genau heute vor zwei Wochen in der Staatspolitische Kommission (SPK) des Ständerates zur Annahme empfohlen worden.

Dass mich das ausserordentlich freut, können Sie sicher verstehen, habe ich doch als junge Nationalrätin im Jahr 1993 einer meiner ersten Vorstösse mit dem Titel „Zulassung ausländischer Jugendlicher als Lehrlinge. Neuregelung“ eingereicht. Dieser zielte genau in die gleiche Richtung, wie die Motion Barthassat. Und im Jahre 2001 habe ich unter dem Titel „Fehlende Berufsperspektiven für Kinder von Sans-papiers" erneut nachgefragt. Ich zitiere aus meiner damaligen Begründung: „Laut den "Empfehlungen zur Schulung der fremdsprachigen Kinder und Jugendlichen" der Schweizerischen Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren (EDK) von 1991 sind alle in der Schweiz lebenden Kinder und Jugendlichen in die öffentlichen Schulen zu integrieren. Das Gleiche gilt aber nicht mehr bei der Berufsausbildung: Jugendlichen, welche nicht über eine entsprechende Aufenthaltsbewilligung verfügen, ist der Weg in eine Berufslehre versperrt. Was gedenkt der Bundesrat zu tun, um diesen Missstand zu beseitigen?“ Im Vorstoss von Antonio Hodgers, eingereicht Ende 2009, tönt es so: „Der Bundesrat wird beauftragt, dafür zu sorgen, dass die Kinderrechtskonvention auch auf Kinder ohne Rechtsstatus angewandt wird: Das Kind soll bei Geburt formell anerkannt werden, ausserdem soll ihm der Zugang zu jeder Art von Bildung ermöglicht werden, worunter auch die Berufsbildung fällt“.

Was lange währt, wird hoffentlich endlich gut! Die Zeichen stehen nicht schlecht, dass der jahrelange Kampf für die Zulassung von Kindern von Sans-papiers zur Berufslehre ein glückliches Ende findet. Denn am 20. April 2010 hat die Staatspolitische Kommission (SPK) des Ständerates mit 5 zu 5 Stimmen - mit Stichentscheid des Präsidenten, des SP-Ständerates Alain Berset - beantragt, der Motion von CVP-Nationalrat Barthassat zuzustimmen. Mit dieser Motion wird der Bundesrat, der die Motion ablehnt, also gegen seinen Willen beauftragt, Jugendlichen ohne gesetzlichen Status, die ihre Schulbildung in der Schweiz absolviert haben, den Zugang zu einer Berufslehre zu ermöglichen.

In der Antwort des Bundesrates vom 05.12.2008 hatte dieser darauf hingewiesen, dass in begründeten Härtefällen bereits Lösungen angeboten werden könnten und dass bei der Beurteilung solcher Gesuche gerade das Vorhandensein eingeschulter Kinder sehr stark ins Gewicht falle und sogar oft ausschlaggebend für die Anerkennung als Härtefall sei und wenn sie so eine Anwesenheitsbewilligung erhalten würden, sei auch die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit möglich. Gestützt auf das geltende Recht bestünde somit genügend Spielraum, um im Einzelfall humanitären Überlegungen Rechnung zu tragen. Aus gesamtheitlicher Sicht sei diese Praxis insbesondere wegen ihrer Nachhaltigkeit und Einzelfallgerechtigkeit einer Globallösung vorzuziehen. Eine generelle Erteilung von Aufenthaltsbewilligungen an alle Jugendlichen, die sich unter Umgehung der ausländerrechtlichen Vorschriften in der Schweiz aufhalte, sei demgegenüber ausgeschlossen. Eine Belohnung dieses rechtswidrigen Verhaltens würde die Zulassungs- und Migrationspolitik der Schweiz grundsätzlich infrage stellen und den rechtswidrigen Aufenthalt fördern. Der Bundesrat beantragte deshalb aus all diesen Gründen die Ablehnung der Motion Barthassat.

Die Mehrheit der SPK des Ständerates ist dem Bundesrat nicht gefolgt. Durch Zustimmung zur Motion will sie der Ungerechtigkeit ein Ende setzen, wonach jugendliche Sans-papiers zwar ein Studium absolvieren können, jedoch keinen Zugang zur Berufslehre haben. Die Kommission ist sich jedoch durchaus bewusst, dass die generelle Problematik der Sans-papiers auch nach Annahme dieser Motion bestehen bleibt.

Damit ist die vorletzte Hürde genommen, die letzte ist der Ständerat. Er wird voraussichtlich in der Sommersession darüber entscheiden, ob er dieser Motion zustimmt, wie das in der Frühlingssession schon der Nationalrat getan hat. Der Entscheid des Nationalrates fiel mit 93 gegen 85 Stimmen bei 8 Enthaltungen, 14 Ratsmitglieder waren abwesend. Im Gegensatz zum Ständerat weiss man beim Nationalrat ganz genau wie jemand gestimmt hat, die elektronische Abstimmung macht das möglich. So haben die Grünen und die SP-Fraktion geschlossen für die Motion gestimmt, die SVP geschlossen dagegen. Die CVP war, obwohl der Initiant, Luc Barthassat ihrer Fraktion angehört, gespalten, wobei es nicht etwa einen Gendergap zwischen Männern und Frauen gab, sondern eher einen Röstigraben, stimmten doch Deutschschweizer Politikerinnen wie Ida Glanzmann, Brigitte Häberli und Ruth Humbel dagegen, aber Christoph Darbeallay, Jacques Neirinck, Meinrado Robbiani und Roberto Schmid dafür. Ebenfalls gespalten waren die Freisinnige und die BDP-Fraktion. Aber es hat für eine Mehrheit gereicht. Die Sans-Papiers-Plattform hat super Lobby-Arbeit gemacht, chapeau!

Warum tut sich die Schweiz so schwer mit der Frage der Illegalisierten Personen? Die Antwort darauf ist nicht bei den Sans-papiers, sondern in der tief in unsere Gesellschaft verwurzelten Ablehnung des Fremden zu suchen. Ich würde mal sagen, wenn die Motion auch im Ständerat durchkommt und vom Bundesrat umgesetzt werden muss, ist das eher die positive Ausnahme in einer ganzen Reihe restriktiver und fremdenfeindlicher Entscheidungen der Schweizer Politik der letzten Jahre. Denken Sie nur an die Revisionen des Asyl- und Ausländergesetzes, die sich in immer schnellerem Rythmus folgten und, garniert mit ein paar Zückerchen zur Beruhigung der Ratslinken, eine Verschärfung nach der andern brachten! Oder denken Sie an die Minarettsverbots-Initiative, die nach einem Wahlkampf mit stark islamfeindlichen Untertönen erschreckend deutlich angenommen worden ist. Oder denken Sie daran, dass die Ausschaffungsinitiative der SVP, die nächstens zur Abstimmung kommt, ganz reelle Chancen hat, angenommen zu werden.

Fremdenfeindlichkeit und Ausschluss all dessen, was fremd erscheint, sind also eine Konstante der Schweizer Politik. Nur der Grad der Fremdenfeindlichkeit ist unterschiedlich, im Moment ist sie wieder im Steigen begriffen. Dazu gibt es die verschiedenen Erklärungsversuche, einer davon ist die These von den ModernisierungsverliererInnen.

Weltweit hat sich ja seit den 90er Jahren eine Entwicklung eingestellt, die mit Neoliberalismus umschrieben wird. Dessen Credo lautet, dass der Markt alles regle, wenn man ihm nur alle Zügel und vor allem alle staatlichen Fesseln ablege. Im Zuge dieses Neoliberalismus hat die Ökonomisierung alles und jedes durchdrungen, so dass jedes menschliche Tun und jede Beziehung auf die Frage reduziert wird: was kostet es mich und was bringt es mir? Der Glaube an die Märkte hat fast religiöse Züge angenommen. Achten Sie übrigens einmal darauf, wie darüber gesprochen wird: sie reagieren skeptisch oder erfreut, sie bleiben misstrauisch, erholen sich nur langsam, bleiben zurückhaltend ist sie belohnen gutes Verhalten wie z. B. den Abbau von Arbeitsplätzen. Erst die Finanzkrise der letzten Jahre hat diese Ideologie entzaubert, wie nachhaltig wird sich erst noch weisen. Ich habe da meine grossen Zweifel, wenn ich höre, dass das Parlament sich weigert, auch nur eine einzige wirklich verbindliche Massnahme zu beschliessen, welche die Banken an die Kandare nimmt und in die Schranken weist.

Die berechtigte Angst vieler Menschen, Verlierer der Modernisierung und der Globalisierung zu sein oder zu werden, ist weit verbreitet und sie lässt sich politisch gut bewirtschaften und ausbeuten. Und als Sündenböcke müssen dann immer wieder die „Ausländer“ herhalten. Eine vom Forschungsbereich Öffentlichkeit und Gesellschaft (fög) der Universität Zürich im Auftrag der „Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus“ EKR erarbeitete Studie kam zu folgendem Ergebnis: Im Wahlkampf 2007 wurden Ausländerinnen und Ausländer negativ typisiert und instrumentalisiert. Dabei waren insbesondere Muslime und jugendliche Ausländer die Zielscheibe. Drei Viertel der festgestellten negativen Darstellung von Ausländern und Minderheitenangehörigen wurden von der SVP vorgenommen. Ihre Strategie und die intensiven Reaktionen der Medien und der anderen Parteien darauf sorgten dafür, dass die Negativstereotypen in hohem Masse – noch vor der Umweltproblematik - die Wahlkampagne prägten. Die Kritik an diesem negativen Bild der ausländischen Bevölkerung war interessanterweise wiederum in der französischen Schweiz deutlich höher als in der deutschen Schweiz.

Ich denke, dass Sie jetzt verstehen, dass ich die Annahme der Motion Barthassat eher als die positive Ausnahme verstehe, denn die Vergangenheit hat gezeigt, dass das Schüren der Fremdenfeindlichkeit eine erfolgreiche Strategie zum Gewinnen von Wahlen ist. Deshalb und weil die eher beängstigenden und verunsichernden Phänomene der Modernisierung weiter zunehmen werden, fürchte ich, müssen wir auch in Zukunft mit einem stark fremdenfeindlichen Diskurs rechnen. Die verletzlichsten Betroffenen einer solchen Politik sind die Sans-papiers, noch mehr deren Kinder. Deshalb gebührt all denen, die diese Ausstellung organisiert haben und die sich unermüdlich in diesem fast aussichtslosen Kampf engagieren, ein ganz grosses Dankeschön! Ich wünsche Ihnen, dass Sie damit wenigstens jene zum Handeln aufmuntern, die noch für aufklärerische Argumente offen sind!

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