Eine Lehre aus der Geschichte der Frauen

| Kolumne erschienen auf der Webseite von Luzern60plus

Eine Lehre aus der Geschichte der Frauen

Ein Ereignis war in diesem Jahr 2021 unüberhörbar präsent: 50 Jahre Frauenstimmrecht. Es wurde daran erinnert, dass die weibliche Schweizer Bevölkerung erst vor 50 Jahren vollberechtigte Bürgerinnen dieses Landes wurden und damit ihr Ausschluss von den politischen Rechten auf Bundesebene endlich ein Ende fand.

Damit wurde die viel gepriesene älteste Demokratie der Welt ein schönes Stück vollständiger. Aber wirklich vollständig ist sie immer noch nicht. Ein erheblicher Teil der Bevölkerung ist von der Beteiligung an den demokratischen Prozessen ausgeschlossen: die Personen ohne Schweizer Pass. Rund 25% der in der Schweiz lebenden Menschen sind juristisch gesehen „Ausländer:innen“ und ihnen ist das Stimm- und Wahlrecht auf Bundesebene verwehrt. Einzig auf Kantons- oder Gemeindeebene gibt es in einigen Kantonen der Romandie politische Rechte für nicht Eingebürgerte und in der Deutschschweiz erlauben es drei Kantone ihren Gemeinden, das Ausländer:innenstimmrecht einzuführen.

Wer sind diese 25% «Ausländer:innen»? Viele von ihnen sind hier geboren und aufgewachsen, viele leben schon lange hier: 1.6 Millionen länger als fünf Jahre, 1.1 Millionen länger als zehn Jahre, 580 000 Personen sogar seit mehr als 20 Jahren. Diese Zahlen sind auch ein Abbild davon, wie schwer es die Schweiz der Migrationsbevölkerung mit der Einbürgerung macht. Wir kennen kein Jus Solis, das heisst keine Verleihung der Staatsangehörigkeit auf Grund des Geburtsortes. Selbst Angehörige der dritten Generation müssen sich immer noch einem Einbürgerungsverfahren unterziehen, das zwar als erleichtert bezeichnet wird, aber immer noch grosse Hürden aufweist. Das führt dazu, dass die Schweiz für immer mehr Menschen ohne Schweizer Pass ihr Lebensmittelpunkt ist. Sie haben die Schulen hier besucht, sie arbeiten hier, bezahlen Steuern und unterstehen der schweizerischen Gesetzgebung, ihre Familien und ihr Freundeskreis sind hier. Oft ist ihnen das Herkunftsland ihrer Vorfahren fremd, für sie ist die Schweiz das, was wir Heimat nennen. Nur eines unterscheidet sie von uns Schweizer:innen: sie können nicht mitbestimmen, wie die Schweiz politisch zu gestalten ist, obwohl sie von allen politischen Entscheiden betroffen sind. Das ist schlecht für die Betroffenen, das ist schlecht für die Demokratie. In Kreuzlingen, Renens und Spreitenbach hat heute bereits mehr als die Hälfte der Bevölkerung keinen Schweizerpass, die Stadt Genf mit 48% nähert sich dieser Situation an. In Schweizer Städten verfügen durchschnittlich 34% der Bewohner:innen über keinen Schweizer Pass! Das ist für ein direkt demokratisches Land wie die Schweiz, das von der aktiven Beteiligung der Stimmberechtigten auf allen Ebenen des Gemeinwesens lebt, eine schlechte Entwicklung. Es erinnert fatal an die Situation der Frauen vor 50 Jahren.

Deshalb erzähle ich diese Geschichte gerade jetzt, weil sie an die Geschichte des Frauenstimmrechts anknüpft. Die Lehre von uns Frauen aus diesem jahrzehntelangen Ausschluss von der Demokratie sollte sein, dass wir uns stark machen gegen den Ausschluss anderer. Das sind heute die über zwei Millionen Einwohner:innen unseres Landes ohne Schweizer Pass. Mit ihrer Beteiligung vervollständigen wir die Schweizerische Demokratie wieder um ein grosses Stück, wie es damals vor 50 Jahren mit der Einführung des Frauenstimmrechts geschah.

Deshalb ist es für mich eine grosse Freude, dass die Frauensession als letzter grosser Anlass im 50-Jahre-Frauenstimmrechtsjahr genau dies auch zum Thema macht. Die von den beiden konfessionellen Frauenverbänden SKF und EFS eingesetzte Kommission für Einwohner:innenstimmrecht (KES-FS) wird diese Forderung an der Frauensession einbringen. Als Kommissionspräsidentin darf ich dieses Anliegen im Nationalratssaal am 29. Oktober - zusammen mit meiner Copräsidentin, SP-Nationalrätin Ada Marra und fünf engagierten Kommissionsfrauen mit Wurzeln in der ganzen Welt - vertreten und begründen. Schön, nach 16 Jahren wieder einmal an diesem Rednerpult stehen und die zwei Anliegen verknüpfen zu können, die wie ein roter Faden durch meine politische Laufbahn gehen: für die Rechte der Frauen und der Menschen mit einer Migrationsgeschichte.  

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