Vorlesung an der PHZ Luzern

| Vorlesung im Rahmen der Vorlesungsreihe «Heterogenität» an der PHZ Luzern im Sommersemester 2005

Heterogenität durch Einwanderung

Die Schweiz ist durch die Einwanderung heterogen geworden. Das zeigt auch ein Blick auf die Schule: in unseren Schulklassen hat ein Fünftel der SchülerInnen einen ausländischen Pass, zudem haben viele Kinder mit Schweizerpass ebenfalls eingewanderte Eltern oder Grosseltern, die aber inzwischen eingebürgert worden sind. Insgesamt leben heute in der Schweiz rund 1.5 Millionen Personen ohne Schweizer Pass. Warum sie in die Schweiz gekommen sind, wie die Schweiz heute die Einwanderung regelt und mit welchen Entwicklungen künftig zu rechnen ist, das sind die Themen dieser Vorlesung. Ein kurzer Blick auf die Schule soll das Bild abrunden.

Einleitung

In der öffentlichen Debatte wird mehrheitlich ein negatives Bild der «Ausländer» gezeichnet, sie werden als Profiteure, die unsere Sozialwerke ausnützen und als Kriminelle, die für uns eine Gefahr darstellen, bezeichnet. Leserbriefspalten und politische Inserate sind Spiegel dieses Diskurses über «Fremde». Seit dem Mord am holländischen Filmemacher van Gogh im letzten Jahr ist auch der Islam endgültig in Verruf geraten. In der Schweizerpresse gab es im letzen Herbst auch eine heftige Islamdebatte, in der der Unterschied zwischen Islam und Islamismus nicht immer klar gemacht wurde und der Islam generell in die Nähe von Gewalt gerückt wurde.

Über der Frage, ob die Schweiz ein Einwanderungsland sei, werden immer wieder hitzige Debatten geführt und die ehemalige Bundesrätin Metzler war die erste, die sagte, dass die Schweiz ein Einwanderungsland sei. Das war fast ein Tabubruch: noch nie vorher hatte das ein Mitglied des Bundesrates öffentlich gesagt. Obwohl sich die Schweiz bis zu diesem Zeitpunkt nie offiziell als Einwanderungsland bezeichnet hat, wie zum Beispiel Kanada oder Australien das tun, ist es eine Tatsache, dass ein Drittel der Schweizerbevölkerung eingewanderte Vorfahren hat.

Seit längerer Zeit beschäftige ich mich, gegeben durch meine verschiedenen Funktionen, mit der Frage, wie unsere Gesellschaft mit der Einwanderung umgeht: als Fachberaterin und Dozentin für Interkulturelle Pädagogik an der PHZ Luzern, als Nationalrätin und Mitglied der Staatspolitischen Kommission und als Vizepräsidentin der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus. Dabei stelle ich fest, dass zwischen der gesellschaftlichen Realität über die Einwanderung und dem gesellschaftlichen Diskurs, eine Diskrepanz besteht. Ziel meiner Vorlesung ist es, Ihnen ein möglichst reelles Bild über die einwanderungsbedingte Heterogenität der Schweizerischen Gesellschaft zu geben.

Meine eigene Haltung der Frage gegenüber ist geprägt vom Menschenbild, welches von der prinzipiellen Gleichwertigkeit aller Menschen ausgeht. Dieses Menschenbild liegt auch der Erklärung der Menschenrechte zu Grunde und der Schweizerischen Bundesverfassung. Es manifestiert sich im Artikel 8 folgendermassen: Art. 8 (BVG Artikel 8) Rechtsgleichheit 1Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich. 2Niemand darf diskriminiert werden, namentlich nicht wegen der Herkunft, der Rasse, des Geschlechts, des Alters, der Sprache, der sozialen Stellung, der Lebensform, der religiösen, weltanschaulichen oder politischen Überzeugung oder wegen einer körperlichen, geistigen oder psychischen Behinderung. 3Mann und Frau sind gleichberechtigt. Das Gesetz sorgt für ihre rechtliche und tatsächliche Gleichstellung, vor allem in Familie, Ausbildung und Arbeit. Mann und Frau haben Anspruch auf gleichen Lohn für gleichwertige Arbeit. 4Das Gesetz sieht Massnahmen zur Beseitigung von Benachteiligungen der Behinderten vor.

Überblick

Als erstes möchte ich Ihnen eine Art Portrait der eingewanderten Bevölkerung machen in Bezug auf Herkunft, Geschlecht, Alter. Dann möchte ich Ihnen die Gründe erläutern, warum Personen aus dem Ausland in die Schweiz kommen. In einem dritten Teil zeige ich Ihnen, worüber im Moment innenpolitisch am meisten gestritten wird. Im vierten Teil werde ich einen europapolitischen Ausblick im Bezug auf die Einwanderung machen. Und im fünften und letzten Teil werde ich einen Blick auf die Folgen der einwanderungsbedingten Heterogenität auf die Schule werfen.

1. Portrait der ausländischen Bevölkerung in der Schweiz
Jeder fünfte Mensch in der Schweiz hat heute eine ausländische Staatsbürgerschaft, total 1.5 Millionen von 7 Millionen. Rund ein Viertel ist in der Schweiz geboren. Wenn die Eltern Ausländer sind, bleiben es ja auch die Kinder. 36% der Ausländer sind länger als 15 Jahre in der Schweiz.

Ungefähr die Hälfte stammt aus der EU, ein Drittel aus unseren Nachbarländern. Die Männer sind, im Gegensatz zur einheimischen Bevölkerung, immer noch leicht in der Mehrzahl, das hat mit der Einwanderung der Saisonniers in den 60er bis 90er Jahren zu tun. Rund 55% sind zwischen 20 bis 49-jährig. Es gibt ganz wenig alte AusländerInnen in der Schweiz, sie sind dann entweder zurückgewandert oder eingebürgert. (Bundesamt für Statistik)

2. Einwanderungsgründe
In der öffentlichen Wahrnehmung herrscht die Meinung vor, die Eingewanderten seien mehrheitlich „Asylanten“. Die Zuwanderung erfolgt aber zum grössten Teil über den Arbeitsmarkt und den damit verbundenen Familiennachzug, über das Heiraten, das Studieren in der Schweiz und nur zu einem sehr geringen Teil über das Asylverfahren, nämlich nur 5% der Eingewanderten, also jeder 20. Ausländer kommt als Asylsuchender in die Schweiz. (Bundesamt für Migration)

Lassen Sie mich die wichtigsten Einwanderungsgründe etwas ausführen:

2.1 Einwanderungsgrund Arbeit
Haupteinwanderungsgrund Nummer 1 ist immer noch die Arbeitsaufnahme in der Schweiz. An jedem vierten Arbeitsplatz in der Schweiz arbeitet heute ein Ausländer, eine Ausländerin, sie sind für die Wirtschaft ein zentraler Faktor geworden (Bundesamt für Statistik). Sie sind durchschnittlich jünger als die einheimischen Beschäftigten. Sie leisten einen Fünftel des gesamten Arbeitsvolumens.

Bis in die 90er Jahre galt für die Zugewanderten, dass sie gross mehrheitlich in schlecht bezahlten, mit wenig Prestige und Aufstiegsmöglichkeiten ausgestatteten Arbeitsverhältnissen tätig waren. Deshalb traf sie die Arbeitslosigkeit damals in weit höherem Ausmass als die Einheimischen.

Heute sind vermehrt auch qualifizierte Leute aus dem Ausland gesucht. Immer mehr Zugewanderte üben heute in der Schweiz hoch qualifizierte Berufe aus, zum Beispiel ManagerInnen, InformatikerInnen oder Berufsleute im Gesundheitswesen und ihr Anteil an den neu Eingewanderten nimmt laufend zu. Indiz für diesen Trend ist, dass die deutschen Staatsangehörigen die zweitgrösste Neuzuzügergruppe der letzten Jahre darstellen.

Fazit: Insgesamt sind ausländische Beschäftigte in hoch und in tief qualifizierten Segmenten des Arbeitsmarktes überdurchschnittlich vertreten. Im Tieflohnsektor sind es vor allem Eingewanderte aus Südeuropa – die neu Eingewanderten kommen da vor allem aus Portugal - und von ausserhalb der EU, im Hochlohnsektor vor allem solche aus Nord- und Westeuropa.

Ausländische Beschäftigte sind gleich wie einheimische BeitragszahlerInnen und LeistungsbezügerInnen von Sozialversicherungen. (Bundesamt für Sozialversicherungen)

2.2. Einwanderungsgrund Familiennachzug
Von den knapp 100 000 Neueinreisenden im Durchschnitt der letzten Jahre ist ein gutes Drittel auf den so genannten Familiennachzug zurückzuführen. Wer also die Ausländerzahl reduzieren will ohne auf ausländische Beschäftigte verzichten zu müssen, muss beim Familiennachzug ansetzen. Für EU-Angehörige geht das nicht, weil das Freizügigkeitsabkommen erlaubt, Kinder bis zum 21. Altersjahr nachzuziehen. Der Hebel kann nur bei den Nicht-EU-Einwanderern, so genannten Drittstaaten- Angehörigen, angesetzt werden. Da gibt es zur Zeit eine Auseinandersetzung über das Nachzugsalter und darüber, wie lange Kinder nachgezogen werden dürfen. Wahrscheinlich setzt sich eine neue Obergrenze von 18 Jahren, begrenzt auf eine Frist von 5 Jahren durch. Für ältere als 14-Jährige – eventuell setzt sich die Altersgrenze 12 Jahre durch – muss der Familiennachzug innerhalb eines Jahres realisiert werden.

Davon ist die Schule betroffen, denn die Quereinsteigerkinder, die wir einschulen müssen, sind meistens solche aus Familiennachzügen von bereits hier arbeitenden Vätern. Die Überlegungen für diese Einschränkungen sind die, dass ein früherer Wechsel in die Schweizer Schule besser sei als einer erst im Alter von 14 und mehr.

Solche Quereinsteigerkinder sind aber eine kleine Minderheit der ausländischen Schülerinnen und Schüler. Die grosse Mehrheit von ihnen ist bereits hier geboren und hat die Vorschulzeit bereits in der Schweiz verbracht.

Wenn der Familiennachzug nicht bewilligt wird, weil die Wohnung zu klein oder das Einkommen zu tief ist und die Väter ihre Familien trotzdem in die Schweiz holen, sind deren Kinder illegal anwesend, versteckt oder schwarz. Die Schulbehörden dürfen solche Kinder einschulen und sind nicht verpflichtet, sie den Fremdenpolizeibehörden zu melden. Aber sie haben auf Anfrage derselben Auskunftspflicht. Lehrpersonen haben sich nicht darum zu kümmern, ob Kinder einen legalen Status haben oder nicht, das ist Sache der Schulbehörden.

2.3. Einwanderungsgrund Heiraten
In den letzten Jahren waren es immer ungefähr 12 000 Personen, die wegen der Heirat mit einem Schweizerpartner in die Schweiz kamen. Bei den in der Schweiz geschlossenen Ehen sind in rund der Hälfte der Fälle beide Partner Schweizer, bei allen anderen ist einer oder beide Partner Ausländer oder Ausländerin. Bei der Geburt der in der Schweiz geborenen Kinder zeigt sich ein ähnliches Bild: bei fast jeder zweiten Geburt ist ein oder sind zwei Elternteile ausländisch.

Es ist häufiger, dass der Mann Schweizer und die Frau Ausländerin ist als umgekehrt (binational.ch). Viele dieser ausländischen Partner von Einheimischen kommen zum Heiraten in die Schweiz. Die Schweiz multikulturalisiert sich also auch durchs Heiraten. Durch die Heirat erhalten nämlich die Partner das Aufenthaltsrecht in der Schweiz. Das gilt, wenn das Partnerschaftsgesetz am 5. Juni angenommen wird, auch für eingetragene gleichgeschlechtliche Paare.

In diesem Zusammenhang möchte ich noch erwähnen, dass es unter den binationalen Ehen auch solche gibt, die nur zum Zweck geschlossen wurden, zu einer Aufenthaltsbewilligung in der Schweiz zu kommen. Man spricht dann von Scheinehen. Solche gibt es häufig im Sexgewerbe, es kommt vor, dass Zuhälter Frauen, welche durch Menschenhändler in die Schweiz geschleust worden sind, zwangsverheiraten und zur Prostitution zwingen. Solche Missbräuche sind möglich, weil die Schere zwischen arm und reich so gross ist und Frauen aus armen Ländern kein anderer Weg aus der Armut offen steht, als sich im Sexgewerbe zu betätigen. Von Freiwilligkeit kann natürlich dabei keine Rede sein.

Es ist ausserordentlich schwierig, den Nachweis zu erbringen, ob es sich tatsächlich um eine Scheinehe handelt oder nicht. Viele binationale Paare leiden unter dem Generalverdacht, dass ihre Ehe eine Scheinehe und keine Liebesehe sein könnte. Im Zusammenhang mit der Revision des Ausländergesetzes werden auch verschärfte Massnahmen zur Bekämpfung der Scheinehen und Zwangsverheiratungen eingeführt.

2.4. Einwanderungsgrund Studieren
Noch häufiger als Heiraten ist Studieren ein Einwanderungsgrund. 14% der Einwanderung des letzten Jahres betrafen Studierende an unseren Hochschulen und Universitäten. Die Schweiz hat eine hohe Anziehungskraft für ausländische Studierende und WissenschafterInnen. Dies ist ein wichtiger Indikator für die Qualität eines Hochschulsystems und für dessen Renommee.

Im Jahr 2004 studierten insgesamt 30 000 AusländerInnen an unseren Hochschulen, das sind 17% aller Studierender. (Inbegriffen sind in diesen 17% die die 28% Bildungsinländer, das sind Personen, die hier aufgewachsen und nicht erst für das Studium in die Schweiz gekommen sind.)

Auf dem Niveau von Nachdiplomstudien und Dissertationen ist der Anteil der ausländischen Studierenden in einigen Universitäten sogar mehr als 50%.

Bei den Wissenschaftern beträgt der Ausländeranteil wesentlich mehr als bei den Studierenden, nämlich rund ein Drittel. (Bundesamt für Statistik)

Die Aufenthaltsbewilligung für ausländische Studierende gilt bis zum Studienabschluss.

3. Die ganze Migrationspolitik ist eine Baustelle
Heute werden sämtliche relevanten Gesetze im Bereich der Migrationspolitik revidiert, das Ausländergesetz wird total neu gemacht und das Asylgesetz wird teilrevidiert. Im Bereich der Einbürgerung gibt es auch immer wieder kleinere Änderungen, auch wenn im letzten Herbst die Erleichterte Einbürgerung der zweiten und der dritten Ausländergeneration an der Urne keine Mehrheit fand und damit eine grosse Verbesserung für Kinder und Jugendliche mit ausländischen Eltern gescheitert ist. Die Diskussionen um Einbürgerungsverfahren finden zur Zeit auf Kantons- und Gemeinebene statt.

3.1. Die Hauptstreitpunkte im neuen Ausländergesetz AuG
Seit Juni 2002 ist das Personenfreizügigkeitsabkommen mit der EU in Kraft, damit ist der Zugang der EU-BürgerInnen zur Schweiz geregelt. Ich komme darauf zurück.

Grosse Frage und Hauptstreitpunkt ist nun, wie der Zugang der Nicht-EU-Bürgerinnen zur Schweiz geregelt werden soll. Man spricht vom Dualen Zulassungssystem, das heisst, dass es zwei Regimes für Eingewanderte gibt, je nachdem, ob sie aus der EU stammen oder von woanders. Die Vorschläge des Bundesrates für ein neues Ausländergesetz zielen darauf ab, aus nicht EU-Staaten nur noch qualifizierte Personen in die Schweiz kommen zu lassen und sie in der Schweiz insgesamt weniger gut zu stellen als Personen aus der EU.

Weitere Streitpunkte sind der Familiennachzug, die Frage der Messbarkeit der Integration und die verschiedenen Missbrauchsbekämpfungen (Schlepperwesen, Schwarzarbeit, Scheinehen).

3.2. Am umstrittensten ist die Asylpolitik
Die Asylpolitik ist der ausländerpolitisch sensibelste Bereich. Immer wieder gab es in den letzten Jahren Verschärfungen des Asylrechtes. Die neueste Massnahme ist die, dass Personen, auf deren Gesuch nicht eingetreten worden ist, nicht mehr unterstützt werden und der nächste Schritt wird sein, dass auch Personen mit einem abgelehnten Asylgesuch so behandelt werden. Ihnen steht lediglich noch eine minimale Nothilfe zu, aber auch die ist umstritten für so genannt Renitente. Das Bundesgericht hat da ein wegweisendes Urteil gesprochen, weil es um das Einhalten der Verfassung geht. Städte und Gemeinde-Vertreter befürchten, diese härtere Gangart könnte die Zahl der «Sans-papiers» erhöhen. Weitere Verschärfungen sind geplant, wie das Nicht-Eintreten auf ein Asylgesuch beim Fehlen von Identitätspapieren. Die meisten der heute anerkannten Flüchtlinge hatten keine solchen Papier, sie kämen also gar nie mehr ins Verfahren hinein.

Asylsuchende müssen glaubhaft machen können, dass sie in ihrem Herkunftsland individueller Verfolgung durch den eigenen Staat ausgesetzt sind. Nicht staatliche Verfolgung wird in der Schweiz – im Gegensatz zur EU – nicht als Asylgrund anerkannt. Auch Verfolgung auf Grund des Geschlechts ist kein Asylgrund. Die Zugehörigkeit zu einer verfolgten Gruppe allein ist noch kein Asylgrund. Wer keine individuelle Verfolgung geltend machen kann, dessen Gesuch wird abgelehnt und muss die Schweiz verlassen. Wenn auf Grund kriegerischer Verhältnisse im Herkunftsland jemand nicht zurück geschickt werden kann, wird diese Person vorläufig aufgenommen, bis sich die Situation verbessert hat. Nur wer Asyl erhält und somit anerkannter Flüchtling wird, hat das Recht auf Dauer in der Schweiz zu bleiben und erhält eine Jahresbewilligung. Da die Kriterien sehr streng sind, beträgt die Anerkennungsquote nur 10%.

Asylsuchende haben in den ersten drei bis sechs Monaten ihres Aufenthaltes Arbeitsverbot und werden mit Naturalleistungen (Unterkunft, Verpflegung, Kleidung) unterstützt und erhalten zusätzlich drei Franken Taschengeld pro Tag. Wenn sie eine Lohnarbeit ausüben, werden ihnen 10 Prozent direkt vom Lohn abgezogen, um damit die von ihnen verursachten Kosten zu Beginn ihres Aufenthaltes zurück zu bezahlen.

Auch die neue Revision wird nicht jeden Missbrauch verhindern können. So lange die Schere zwischen reich und arm so gross ist, wird des immer Menschen geben, die sich auf die Suche nach einem besseren Leben machen. Und es wird weiter junge Männer aus Afrika geben, die aus so perspektivelosen Verhältnissen kommen und nichts mehr zu verlieren haben. Wenn sie ihre Papiere wegwerfen und deswegen nicht gleich ausgeschafft werden können, können sie so den Aufenthalt in der Schweiz, einem sicheren und wohlhabenden Land, um ein paar Wochen oder Monate verlängern. Das ist für sie immer noch besser als die Misere zu Hause.

Es gibt Staaten, die kein Interesse haben, ihre Staatsangehörigen zurückzunehmen und mit der Schweiz Rücknahmeabkommen zu schliessen. Da nützt auch die Drohung nichts, ihnen die Entwicklungshilfegelder zu streichen. Solange die Summe der Gelder, welche Flüchtlinge und Migranten im Ausland verdienen und nach Hause überweisen, die Summe der Entwicklungsgelder aus dem Norden um ein X-faches übersteigen, wird die Kooperation mit diesen Staaten nicht funktionieren.

3.3. Gründe für das entstehen von «Sans-papiers»
Papierlos sind die Leute nicht, aber sie haben keine gültigen Aufenthaltspapiere für die Schweiz. „Sans-papiers“ werden Leute aus verschiedenen Gründen: ehemalige Saisonniers aus Ländern des ehemaligen Jugoslawien, welche in den Dritten Kreis gerieten, Personen, deren Jahresbewilligung wegen Arbeitslosigkeit nicht verlängert wurden, Ehefrauen nach Scheidung oder Trennung, Familienangehörige von Jahresaufenthaltern ohne bewilligten Familiennachzug, Asyl Suchende mit Nichteintretensentscheiden und mit abgelehnten Gesuchen, Artistinnen und Tänzerinnen nach Ablauf ihrer Bewilligung und Personen, die als Touristen in die Schweiz eingereist sind und hier schwarz Arbeit gefunden haben. Der grösste Teil der «Sans-Papiers» kommt nicht aus dem Asylbereich. Das kann sich ändern, wenn immer mehr Leute abgewiesen und vom Verfahren ausgeschlossen werden, wie das die Asylgesetzrevision vorsieht.

Die Mehrheit der Schwarzarbeit wird übrigens nicht von Ausländern, sondern von Einheimischen ausgeführt und dadurch gehen dem Staat Milliarden an Sozialabgabeleistungen und Steuereinnahmen verloren.

3.4. Bei der Einbürgerung gibt es noch einige ungelöste Probleme
Die Schweiz hat ein langwieriges und hindernisreiches Einbürgerungsverfahren, das schwierigste in ganz Europa. Die Frist bis zur Einbürgerung beträgt 12 Jahre und liegt damit weit über dem europäischen Mittel von 6 bis 7 Jahren. Ein Rechtsanspruch auf Einbürgerung existiert im Normalfall nicht. Es werden auch immer wieder Gesuche in diskriminierender oder willkürlicher Art und Weise abgelehnt.

Dieses hürdenreiche Verfahren hat zur Folge, dass die Einbürgerungsziffer der Schweiz die tiefste Europas ist. Im Jahr 2004 gab es 36 000 Einbürgerungen. Wenn man das mögliche Potential von über 600 000 Personen mit erfüllter Einbürgerungsfrist von 12 Jahren betrachtet, ist das wenig.

Die Folge davon ist, dass die Eingewanderten während Jahrzehnten als AusländerInnen in unseren Bevölkerungsstatistiken erscheinen. Die meisten europäischen Länder bürgern durchschnittlich doppelt so schnell ein wie die Schweiz, das heisst, dass bei einer analogen Einbürgerungspraxis unser Ausländeranteil von knapp 20 Prozent stark reduziert würde und wir uns den anderen Staaten annähern würden. Der hohe Ausländeranteil bietet politisch immer wieder Zündstoff als Argument gegen die «Überfremdung», wie wir es bei der Abstimmung über die 18%-Initiative vor einigen Jahren erlebt haben.

Der Bundesrat und das Parlament wollten mit der erleichterten Einbürgerung für Kinder und Jugendliche der zweiten und dritten Ausländergeneration eine Verbesserung beim Erwerb des Bürgerrechtes bewirken, die Mehrheit der Stimmenden hat nach einer hoch emotionalen Kampagne gegen Muslime und Raser aus dem Balkan diese Vorlagen im letzten Herbst jedoch verworfen.

Die Abschaffung der Einkaufssumme ist hingegen beschlossen worden. Es soll lediglich noch eine Gebühr erhoben werden können. Das Bundesgericht hat zudem entschieden, dass Beschwerden gegen die Verletzung des Diskriminierungsverbotes zulässig sind. Das heisst jetzt, dass Kantone und Gemeinden Verfahren durchführen müssen, die beschwerdefähig sind, das heisst wiederum, dass Urnenabstimmungen über Einbürgerungen nicht mehr zulässig sind.

Die Schweiz lässt Doppelbürgerschaften zu, so besitzen heute 500 000 SchweizerInnen eine zweite Staatsbürgerschaft, zusätzlich besitzen 430 000 Auslandschweizerinnen und Schweizer nebst der Schweizer Staatsbürgerschaft ebenfalls eine zweite Staatsbürgerschaft.

4. Die EU und die Migrationspolitik der Schweiz
Auch mit der EU ist, was Migrationsfragen anbelangt, einiges im Umbruch. Die Osterweiterung und die Bilateralen Verträge II (EU-Integrationsbüro) stehen zur Diskussion. Die Verträge von Schengen/Dublin sind Teil dieser Bilateralen Verträge. Sowohl gegen die Erweiterung der Personenfreizügigkeit, wie auch gegen die Abkommen von Schengen und Dublin ist das Referendum ergriffen worden.

Einige Kennziffern zum Verhältnis der Schweiz zur EU: In der Schweiz leben ca. 750 000 EU-BürgerInnen. Täglich überschreiten 700 000 Personen eine Grenze der Schweiz mit der EU, davon sind 150 000 GrenzgängerInnen. Die wirtschaftlichen Verflechtungen sind ebenfalls enorm. 80% der Schweizer Importe kommen aus der EU und 60% der Exporte gehen in die EU. Im Jahr 2001 hat die Schweiz in der EU Direktinvestitionen von 10 Milliarden getätigt, die EU in der Schweiz 12 Milliarden. Damit ist angezeigt, wie stark die Schweiz wirtschaftlich mit der EU verflochten ist.

4.1. Wie weiter mit dem Personenfreizügigkeitsabkommen mit der EU?
Seit Sommer 2002 ist das Personenfreizügigkeitsabkommen mit der EU in Kraft und das bringt für EU-Angehörige wesentliche Erleichterungen im Zugang zur Schweiz. Sie dürfen selbständig erwerbstätig sein, sie dürfen Stelle und Wohnort wechseln, ihre Diplome werden anerkannt. Sie sind seither Einheimischen gleichgestellt, was sie noch unterscheidet, sind die politischen Rechte. Selbstverständlich gilt Gegenrecht für SchweizerInnen in der EU.

Seit Sommer 2003 werden die Arbeitsverträge nicht mehr vorgeprüft, das neue Regime sind die flankierenden Massnahmen, mit denen Lohndumping verhindert werden soll. Noch aber werden die Kontrollen zu wenig intensiv gemacht, so dass Missbräuche zu wenig geahndet werden können. Im Hinblick auf die Ausweitung der Personenfreizügigkeit auf die neuen EU-Staaten sind diese Massnahmen deshalb verstärkt worden, ich komme darauf zurück.

Wie sich die Personenfreizügigkeit insgesamt auf die Einwanderung auswirken wird, ist schwer abzuschätzen. Der Arbeitsmarkt wird aber auch mit dieser Regelung ein entscheidender Faktor bleiben. Denn es gilt: nur wer Arbeit hat, kann in der EU frei zirkulieren und umgekehrt. (EU-Integrationsbüro)

4.2. Die Osterweiterung
Am 1. Mai 2004 fand die EU-Osterweiterung statt. Zehn neue Staaten mit insgesamt 70 Millionen Personen haben die EU der bisher 15 Staaten auf einen Schlag massiv vergrössert. Die neue EU mit ihren 25 Mitgliedern hat jetzt eine Gesamtbevölkerung von 450 Millionen Menschen. Das mit der «alten» EU ausgehandelte Personen-Freizügigkeitsabkommen muss auch auf diese zehn neuen Staaten ausgedehnt werden, da die EU nicht akzeptiert, dass ihre Mitgliedstaaten längerfristig unterterschiedlich behandelt werden. Die Schweiz hat Übergangsfristen bis zum Jahr 2011 ausgehandelt, erst dann wird der Arbeitsmarkt für Angehörige der neuen EU-Staaten geöffnet. (EU-Integrationsbüro)

Gegen die Ausweitung der Personenfreizügigkeit auf die neuen EU-Staaten ist das Referendum ergriffen worden, die Abstimmung findet im Herbst statt. Die Schweizer Wirtschaft ist sehr an der Osterweiterung interessiert. Für sie eröffnet sich damit ein neuer Markt, auf dem sie eine Milliarde zusätzlich generierte Wirtschaftsleistung erhofft. Auf der gegnerischen Seite sind die grundsätzlichen EU-Gegner, aber auch viele einheimische ArbeitnehmerInnen, die die neue Konkurrenz fürchten. Nicht zu unrecht, ist doch das Lohnniveau in den neuen EU-Ländern viel tiefer als bei uns und die Gefahr, dass Personen aus diesen Ländern zu Tieflöhnen beschäftigt werden könnten und damit ein Lohndumping passiert, ist nicht von der Hand zu weisen. Das bringt auch die EU-freundlichen Gewerkschaften in einen Zielkonflikt. Dieser ist nur zu lösen mit Mindestlohngarantien für Eingewanderte aus den EU-Staaten, und diese Mindestlöhne müssen auch tatsächlich kontrolliert und durchgesetzt werden. Deshalb hat das Parlament weitere flankierende Massnahmen beschlossen wie die Einstellung von mehr Kontrolleuren und die Allgemeinverbindlichkeit von Gesamtarbeitsverträgen.

Eine Ablehnung an der Urne würde alle Bilateralen Verträge der ersten Runde gefährden, gibt es doch einen Zusammenhang zwischen den Dossiers: man kann nur alles haben oder nichts. Fällt das Personendossier vom Tisch, kommt die so genannte Guillotine-Klausel zum Tragen, das heisst, es gäbe Neuverhandlungen mit der EU, und zwar mit den 25 Staaten der erweiterten EU.

4.3. Schengen/Dublin als Teil der Bilateralen ll
Die Verträge von Schengen und Dublin sind Teil des Paketes der Bilateralen Verträge ll. Sie sind die einzigen umstrittenen Dossiers, von den anderen 7 wird kaum gesprochen und sie treten auf jeden Fall in Kraft, weil es kein Referendum dagegen gibt.

4.3.1 Schengen
Zunächst zu Schengen: es ist ein Abkommen zwischen den EU-Staaten, welches fordert, dass die Binnengrenzen zwischen den EU-Staaten abgeschafft und im Gegenzug die Aussengrenzen dafür umso dichter hochgezogen und kontrolliert werden sollen. Kritiker brauchen dafür die Metapher der Festung Europa. Innerhalb des Schengenraums arbeiten die Polizeibehörden grenzübergreifend zusammen und dürfen auf der Jagd nach Verbrechern diese auch grenzüberschreitend verfolgen. Alle gesuchten Personen, gestohlenen Fahrzeuge, Waffen und Pässe werden im Schengener Informationssystem SIS, einer zentralen Datenbank registriert und gespeichert und sie sind allen Schengenstaaten zugänglich. Die Schweiz ist bis jetzt nicht angeschlossen und die Befürchtung besteht, dass die Schweiz als Zufluchtsland für alle in den Schengenstaaten gesuchten Verbrecher dienen könnte.

Wer ein Schengen-Visa hat, kann sich in diesem Raum frei bewegen, das gilt auch für TouristInnen von ausserhalb der EU und bei einem Beitritt der Schweiz würde das für alle in der Schweiz lebenden Nicht-EU-Bürger gelten, sie könnten sich im Schengenraum gleich frei bewegen wie wir SchweizerInnen.

4.3.2. Dublin
Das Abkommen von Dublin regelt, dass der Staat, in dem ein Asyl Suchender sein Asylgesuch gestellt hat, für diesen zuständig bleibt sowohl für die Abklärung des Gesuchs wie auch für eine allfällige Rückschaffung. Damit Asyl Suchende nicht ein zweites Gesuch in einem anderen EU-Land stellen können, werden ihre Fingerabdrücke in einen zentralen Computer EURODAC eingegeben, so dass sofort herausgefunden wird, ob jemand schon ein Gesuch gestellt hat und in welchem Land. Die Schweiz ist auch EORODAC nicht angeschlossen, so dass die Befürchtung besteht, die Schweiz könnte zum Zufluchtsland aller in EU-Staaten abgewiesener Asyl Suchender werden.

Das Referendum gegen Schengen/Dublin ist zu Stande gekommen und wir stimmen im Juni darüber ab. Die Positionen sind bezogen, die Prognosen werden laufend publiziert. (gfs.bern)

5. Die Auswirkungen der Migrationspolitik auf die Schule
Die Schule ist ein Spiegel der Gesellschaft und widerspiegelt die durch die Einwanderung geschaffene Realität eins zu eins. So sitzen in unseren Klassen heute im Durchschnitt ein Fünftel Lernende ohne Schweizerpass, dafür mit einer anderen Erstsprache. Die Schule ist der beste Ort der Integration. Die EDK hat sich schon früh in den 70er Jahre für diese Option entschieden und diese immer wieder bestätigt, das letzte Mal 1991: «Die EDK bekräftigt den Grundsatz, alle in der Schweiz lebenden fremdsprachigen Kinder in die öffentlichen Schulen zu integrieren. Jede Diskriminierung ist zu vermeiden. Die Integration respektiert das Recht des Kindes, Sprache und Kultur des Herkunftslandes zu pflegen.» Also Integration statt Separation heisst die schulpolitische Devise und so sind denn auch alle politischen Vorstösse zur Separation von den Schulfachleuten und den zuständigen Behörden als der falsche Weg zur Lösung der Probleme abgelehnt worden.

Probleme allerdings gibt es insofern, als durch die überdurchschnittlich häufige Einweisung von Migrantenkindern in Kleinklassen eine Art inoffizielle Separation geschieht. Und PISA zeigt, dass ein rechter Teil der Fremdsprachigen am Ende der Schulzeit nicht über genügend Lesefähigkeiten verfügt, um sich in unserer Gesellschaft zu Recht zu finden. Da ist noch einiges zu tun. Die EDK schlägt denn auch Massnahmen im Bereich der Sprachförderung und der Lehrerbildung vor und sagt auch, dass die Schule allein die Integration nicht bewältigen kann.

Schluss

Ich habe versucht, Ihnen die Eckpunkte der Schweiz als Einwanderungsland aufzuzeigen. Mein Anliegen war, Ihnen ein möglichst faktengetreues, sachliches Bild der durch die Einwanderung entstandenen Heterogenität unserer Gesellschaft zeichnen. Das Zusammenleben in heterogenen, offenen Gesellschaften ist nicht konfliktfrei und stellt an Gesellschaft und Schule hohe Anforderungen. Weder Verteufelungen noch Beschönigungen helfen da weiter, sondern eine offene und faire Auseinandersetzung und das Suchen tragfähiger Lösungen für alle. Die Schule verfügt über einen langen Leistungsausweis und könnte als Modell der Integration genommen werden, weil sie der fast einzige Ort in der Gesellschaft ist, in der Einheimische und Eingewanderte tagtäglich gleichberechtigt zusammen kommen und zusammen leben und lernen.

Lassen Sie mich dazu Anton Strittmatter zitieren:

«Wer von Kindesbeinen an gewohnt ist, die Dinge von verschiedenen Seiten her zu betrachten, nach Hintergründen zu fragen, Vertrautes mal im Kopfstand anzuschauen, Überraschendes und Widersprüchliches nicht gleich zu ‹bereinigen›, genauer hinzusehen und hinzuhören, der wird weniger anfällig sein für Ängste vor Fremdem und für Einfachlösungen in Form bündiger Clichés und Vorurteile.»

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